Thesen zum Infektionsschutz bei der Bahn
Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Öffentlichen Raum, so im Einzelhandel und im Öffentlichen Verkehr, gehört neben dem Einhalten eines ausreichenden räumlichen Abstandes zu anderen Menschen zu den effektivsten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Mit dem schrittweisen Zurückkehren des öffentlichen Lebens nach dem Corona-Shutdown und den gelockerten Verordnungen der Länder lässt sich das Abstandhalten im Alltag nicht immer praktikabel umsetzen. Gerade im Bahnverkehr, insbesondere jetzt in der Hauptreisezeit im Sommer, wird das Maskentragen daher wichtiger als bisher. Was aber, wenn Fahrgäste in den Zügen das Maskentragen bewusst ignorieren? Der Autor plädiert für ein klares und für jeden verständliches Vorgehen.
Seit April 2020 habe ich rund 20 Fernzüge der Deutschen Bahn genutzt. In vielen Fällen konnten Abstandsregeln einigermaßen eingehalten werden und die allermeisten Fahrgäste, schätzungsweise 80 bis 90 Prozent aller Reisenden, trugen einen Mund-Nasen-Schutz. Nach meiner Beobachtung stößt die von den Ländern eingeführte Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in wesentlichen Bereichen des öffentlichen Lebens auf eine große Akzeptanz in der Bevölkerung. Das Maskentragen vermittelt nicht nur ein Gefühl von Sicherheit in einer unsicheren Zeit. Die Maske bietet dem Solidargedanken – „Ich schütze dich, du schützt mich“ – folgend auch tatsächlich einen gewissen Infektionsschutz. Die Stadt Jena, die als erste Stadt bundesweit eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes u.a. im Öffentlichen Verkehr verfügt hatte, hat seitdem nachgewiesenermaßen eine lokal deutlich bessere Entwicklung beim Infektionsgeschehen als vergleichbare Städte.
Der Anteil der Menschen, die in Fernverkehrszügen einen Mund-Nasen-Schutz tragen, ist derzeit relativ hoch, sollte aber nahe an die 100-Prozent-Marke herangeführt werden. Regelmäßig erfolgen klare und unmissverständliche Durchsagen im Zug. Das ist gut und auch notwendig. Es wird völlig zu Recht an Verantwortung und Respekt gegenüber den Mitreisenden appelliert. Wer in voller werdenden Zügen keinen Mund-Nasen-Schutz trägt, verhält sich in Zeiten der Corona-Pandemie anderen Menschen gegenüber verantwortungs- und respektlos. Ich selbst musste immer wieder mal Mitreisende ansprechen, die ohne Maske in meiner Nähe saßen. Ist das meine Aufgabe? Kein einziges Mal habe ich bei meinen Fahrten in Fernzügen wahrgenommen, dass das Bahnpersonal Reisende ohne Maske auf ihr Fehlverhalten anspricht. Die zahlreichen Diskussionen in den sozialen Medien zeigen, dass dies auch in der Bevölkerung breit diskutiert wird.
Auf Nachfragen meinerseits, weshalb das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht in die Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn aufgenommen wird, blieben seitens der Bundesregierung bislang unbeantwortet. Stattdessen wird seitens der Bundes-regierung darauf verwiesen, einzig die Länder seien für die Durchsetzung der Corona-Regelungen verantwortlich. Im bundesweiten Fernverkehr kann dies jedoch kein erfolgversprechender Ansatz sein.
Tatsächlich sieht das Infektionsschutzgesetz den Vollzug der Verordnungen durch die Länder vor (§ 54 IfSG). Auch sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen angehalten, die Einhaltung der Landesverordnungen abzusichern. Sie haben allerdings nicht die rechtlichen Befugnisse, die Pflicht zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes auch selbstständig durchzusetzen. Daher stellt sich die rechtliche Frage, ob der Ausschluss von der Beförderung eine denkbare Option ist. Grundsätzlich gilt im Bahnverkehr eine Beförderungspflicht (§ 10 AEG), allerdings setzt die Eisenbahn-Verkehrsordnung dieser Beförderungspflicht klare Grenzen (§ 4 Abs. 2 EVO):
„Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Betriebes oder für die Sicherheit der Mitreisenden darstellen oder den Anforderungen des Eisenbahnpersonals nicht folgen, können von der Beförderung ausgeschlossen werden.“
Die Umsetzung der Maskenpflicht unterliegt damit rechtlich gesehen für die Bahnunternehmen einer Ermessensentscheidung. Zugleich muss das Bahnpersonal bei solchen Fällen erst die Bundespolizei am nächsten Bahnhof einschalten, um den Ausschluss von der weiteren Beförderung durchzusetzen, was ggf. Verspätungen nach sich ziehen würde. Die Umsetzung eines effektiven Infektionsschutzes in den Fernverkehrszügen verliert sich im Auseinanderfallen der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Insbesondere in der Sommerreisezeit ist dies ein untragbarer und für alle Seiten unbefriedigender Zustand.
Wie das Problem gelöst werden kann:
- Die politische Antwort kann in diesem rechtlich schwierigen Umfeld nur sein: Wir brauchen eine klare Zuständigkeit der Bundespolizei, damit diese unangekündigte Kontrollen in den Fernverkehrszügen durchführen und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Fernverkehrszug durchsetzen kann. Bei notorischen Maskenverweigerern muss die Bundespolizei den Ausschluss von der weiteren Beförderung bereits im Zug feststellen und durchsetzen können. Einige Länder wie Sachsen-Anhalt haben für den Nahverkehr ein praktikables Vorgehen festgelegt, welches auch im Fernverkehr Anwendung finden kann.
- Zudem braucht es eine Rechtsgrundlage zur Verhängung von Bußgeldern durch die Bundespolizei, welche auf Bundesebene geschaffen werden muss und so die bisherige Regelungslücke schließt. Für die meisten Fahrgäste ist nicht erkennbar, weshalb im Nahverkehr mit vergleichsweise kurzem Aufenthalt im Bus, in der Straßenbahn, S‑Bahn oder U‑Bahn ein Bußgeld fällig werden kann, im Fernverkehr mit zeitlich längerem Kontakt der Fahrgäste untereinander hingegen die bewusste Verweigerung der Maskenpflicht nicht sanktioniert werden kann. Mit einer klaren Rechtsgrundlage wird das Bahnpersonal nicht allein gelassen und erhält so Rechtssicherheit. Das Fehlen einer solchen Rechtsgrundlage geht auf Bundesverkehrsminister Scheuer zurück, der sein Handeln in der Corona-Krise weitgehend auf möglichst pressewirksame Termine reduziert hat.
- Über die Durchsetzung der Maskenpflicht hinaus braucht es weitere Maßnahmen, um den Schutz vor Ansteckungen in Fernzügen weiter zu verbessern. Dazu gehört v.a. ein Reservierungssystem, welches Sitzplätze möglichst auf Abstand zuteilt. Dass die Deutsche Bahn AG diese Einstellung mit ihrer Software auch Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie nicht leisten kann, ist ein Armutszeugnis für den Eigentümer, der durch die Bundesregierung vertreten wird. Die Bundesregierung hat schlichtweg kaum Erwartungen an die Digitalisierung im eigenen Bundesunternehmen gerichtet.
- Solange es kein überarbeitetes Buchungssystem gibt, welches Sitzplätze auf Abstand vergibt, könnten in den Zügen einzelne Wagen für Risikogruppen vorgehalten werden, so dass Risikogruppen (Definition nach RKI: Ältere Personen ab 50 bis 60 Jahre, mit bestimmten Vorerkrankungen) einen besonderen Schutz genießen. In diesen Wagen können so viele Sitzplätze „analog“ bzw. digital durch die Sitzplatzanzeige gesperrt werden, so dass ein ausreichender Abstand effektiv eingehalten wird. Die Bahnunternehmen sollten hierfür zeitlich befristet vom Bund eine Entschädigung für die hierdurch entgangenen Erlöse erhalten.
- Sparpreis- und Supersparpreis-Tickets sollten nur für gering ausgelastete Züge angeboten werden, um nicht weitere Fahrgäste in der Sommerreisezeit in Fernverkehrszüge zu locken, in denen sich früh eine hohe Auslastung abzeichnet.
Die „Maskenfrage“ ist in Zeiten der Corona-Pandemie entscheidend dafür, in welchem Umfang die Reisenden weiterhin die Bahn nutzen. Es braucht daher einen klaren Handlungsrahmen für die Bundespolizei, der auch Sanktionen umfasst (Ansprache, Bußgelder und Ausschluss von der weiteren Beförderung). Die Durchsetzung der Vorgaben und die praktische Ermöglichung des Abstandsgebotes sind gleich zweifach von Bedeutung: Erstens, weil dadurch ein tatsächlich wirksamer (wenn auch kein 100%-iger) Infektionsschutz gewährleistet wird und zweitens, weil das Gefühl der Sicherheit auch nach einem Ende der Pandemie über die Akzeptanz der Bahn als Verkehrsmittel entscheidet.