Tarife nicht überall angepasst
Auch Monate nach den Beschlüssen des „Klimakabinetts“ zeigt sich die Bundesregierung stolz auf die Beschlüsse des „Klimapäckchens“ wie der Mehrwertsteuersenkung im Fernverkehr der Bahn. Kurz vor Ausbruch der Corona-Krise schlug Bundesverkehrsminister Scheuer gleich noch eine Steuersenkung bei den Fernbussen vor. Dabei wird die Absenkung der Mehrwertsteuer bis heute nur lückenhaft und nicht vollständig umgesetzt. Folge: Eine ganze Reihe von Regionalverkehren sind teurer als die gleichen Verbindungen in den Intercity-Zügen des Fernverkehrs.
Der Haken: Die Mehrwertsteuersenkung wird bislang nur in den Fernverkehrszügen (Intercity- und ICE-Züge) umgesetzt. Im ertragsträchtigen Regionalverkehr hingegen werden die Fahrscheine ab 51 Kilometern Streckenlänge – der steuerrechtlichen Definition für Fernverkehrsfahrten – weiterhin mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert, obwohl die Mehrwertsteuersenkung auch diese Züge bei einer Streckenlänge über 50 Kilometer erfassen sollte.
So wird das Preisschema insbesondere der Deutschen Bahn auf zahlreichen Verbindungen ins Absurde geführt. Ein Beispiel: Die Strecke zwischen Hamburg und Schwerin. Die beiden Hauptstädte im Norden Deutschlands sind etwa 100 Kilometer entfernt. Ein Regionalexpress verbindet beide Städte, obwohl der von den Ländern bestellte und bezahlte Regionalverkehr sich im Wesentlichen auf den regionalen Verkehr mit bis 50 Kilometern Reichweite fokussieren sollte. Trotz der Regionalisierungsmittel ist die Reise mit dem Regionalverkehrszug nicht günstiger: Der Regionalexpress mit Flexpreis-Fahrschein kostet 30 Euro bei etwa 75 Minuten Fahrzeit. Zahlreiche Fahrgäste nehmen gleich den Fernverkehrszug, der Zeit spart und nun sogar weniger Geld kostet: Die Fernverkehrstickets kosten in den weißen Zügen zwischen 27 und 30 Euro, der Sparpreis beim Intercity ist bereits für 17,90 Euro erhältlich. Der langsamere Regionalexpress ist selbst im günstigsten Sparangebot erst ab 23 Euro zu bekommen.
Ursache hierfür sind die unterschiedlichen Preissysteme im Regional- und Fernverkehr: Die Regionalzüge werden von den Ländern bestellt und über die Regionalisierungsmittel bezahlt, die Züge des Schienenpersonenfernverkehrs sollen sich hingegen eigenwirtschaftlich tragen. So legt die Deutsche Bahn ihre Preise im Fernverkehr allein fest und variiert diese nach Wochentagen und Tageszeiten. Mit der unterschiedlichen Handhabung der Mehrwertsteuersenkung verschieben sich die Preissysteme des Regionalverkehrs (mit 19 Prozent MwSt ab 51 km Streckenlänge) und des Fernverkehrs (mit 7 Prozent MwSt ab 51 km Streckenlänge). Für den Fahrgast ergibt sich seit Jahreswechsel 2019/20 ein Preisgefüge mit Fern- und Regionalzügen, welches auf vielen Verbindungen nicht mehr schlüssig erscheint.
Die Deutsche Bahn hat die Mehrwertsteuersenkung gleich zum Jahreswechsel in ihren Fernverkehrszügen umgesetzt- Allerdings soll erst zum „Kleinen Fahrplanwechsel“ am 14. Juni 2020 die Steuersenkung auch im Regionalverkehr ab 51 km Streckenlänge wirksam werden. Bis Mitte Juni führt die verschiedene Anwendung der Mehrwertsteuersenkung zu Inkonsistenzen bei den Preisen von Regional- und Fernzügen. Als Grund für diese monatelange Umsetzungsdauer der Mehrwertsteuersenkung seien laut dem Tarifverband der Bundeseigenen und Nichtbundeseigenen Eisenbahnen in Deutschland (TBNE) offene Abstimmungsprozesse mit den Tarifpartnern und die automatische Hinterlegung der Preisschemata in den Buchungssystemen.
Eine solche Preiskonkurrenz zwischen Fern- und Regionalverkehr ist kontraproduktiv: Wenn die Deutsche Bahn AG als Unternehmen des Bundes über die ungleiche Preisstruktur mit Sparpreis- und Super-Sparpreis-Tickets Millionen Fahrgäste aus dem von den Ländern bezuschussten Regionalverkehr abzieht, gehen die Einnahmen im Regionalverkehr zurück. Folglich müssen die Länder noch mehr finanziell zuschießen. Es ist daher im Sinne von Bund und Ländern, dass die Mehrwertsteuersenkung im langlaufenden Regionalverkehr jetzt zügig umgesetzt wird und die Schnittstelle zwischen Fern- und Regionalverkehr wieder nach einer marktwirtschaftlich schlüssigen Preislogik umgesetzt wird.
Beispiele für schnelle und zugleich günstigere Fernverkehrsverbindungen:
Berlin Hbf – Waren an der Müritz
Fahrt mit Intercity (1:19 – 1:21 h) für 31,90 Euro, Regionalexpress (2:27 h) für 34,20 Euro.
Berlin Hbf – Dresden Hbf
Fahrt mit Intercity (2:14 h) für 38,70 Euro, Regionalexpress (3:27 h) für 47,10 Euro.
Berlin Hbf – Frankfurt (Oder)
Fahrt mit Eurocity (1:02 h) für 10,10 Euro mit Bahncard 50, RE (1:07 h) für mind. 10,50 Euro.
Hannover Hbf – Magdeburg Hbf
Fahrt mit Intercity (1:17 h) für 30,60 Euro, Regionalexpress (2:10 h) für 32,90 Euro.
Hannover Hbf – Wolfsburg Hbf
Fahrt mit Intercity (0:31 h) für 8,75 Euro, ENO (0:58 h) für 8,75 Euro.
Chemnitz Hbf – Leipzig/Halle Flughafen
Fahrt mit Intercity und RE (1:18 h) für 24,50 Euro, RE und S‑Bahn (1:37 h) für 24,80 Euro.
Chemnitz Hbf – Halle (Saale) Hbf
Fahrt mit Intercity und RE (1:30 h) für 27,50 Euro, RE und S‑Bahn (1:49 h) für 28,50 Euro.
Das Land Baden-Württemberg hat mit dem Baden-Württemberg-Tarif die verbundübergreifenden Preise im Regionalverkehr schon Jahresende 2018 durchschnittlich um etwa 25 Prozent gesenkt, sodass hier das Preisgefüge des Regionalverkehrs generell unterhalb der Fernverkehrspreise liegt.