09.04.2020
Verkehr vermeiden, verlagern und dekarbonisieren
In leicht veränderter Version erschienen als Gastbeitrag auf Klimaretter.de
Die Corona-Krise zeigt uns, dass die Politik des Handelns fähig und die Gesellschaft bereit ist, Verhaltensweisen anzupassen, um Risiken zu minimieren. Das ist beachtlich und zeugt von einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein der meisten Menschen. Es ist zu hoffen – viele Zeichen sprechen dafür – dass die Gesundheit insbesondere von geschwächten und älteren Menschen damit bestmöglich geschützt wird. Angesichts dieser Krise stark aus der Wahrnehmung verschwunden ist die Klima-Krise, von der die Jungen und deren Nachkommen in massivem Ausmaß betroffen sein werden.
Wenn nun darüber diskutiert wird, wie wir nach den Osterferien schrittweise Beschränkungen anpassen und in einigen Bereich wieder zu mehr Normalität zurückkehren, dann sollten wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft leben wollen. Wollen wir die Klimaziele erreichen – hier geht es um nicht weniger als die Zukunft des Menschen auf unserer einen Erde – so müssen wir den Verkehrssektor mehr denn je in den Fokus nehmen. Zwar gibt es technische Fortschritte. Das Umweltbundesamt weist darauf hin, dass die kilometerbezogenen Kohlendioxid-Emissionen seit 1995 bei Pkw im Schnitt um neun Prozent und bei Lkw um 33 Prozent gesunken sind. Das hilft aber aus zwei Gründen nicht: Erstens sind nicht nur mehr Autos, sondern auch mehr Lkw unterwegs, wodurch die absoluten Kohlendioxid-Emissionen im Straßengüterverkehr bis 2018 um 22 Prozent gestiegen sind. Zweitens lassen sich mit fossilen Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren mit ihren erschreckend geringen Wirkungsgraden niemals die Klimaziele erreichen. Daher braucht es die Verkehrswende, die sich auf die beiden Säulen „Vermeidung und Verlagerung“ und „Antriebswende“ stützt. Dazu einige Thesen:
- Verkehr ist in seiner heutigen Extremausprägung keine zwingende Voraussetzung für eine prosperierende Wirtschaft und Wohlstand. Der Transport von Gütern ist schlichtweg zu billig, um regionale Wirtschaftskreisläufe attraktiv zu halten. Weshalb wird beispielsweise Trinkwasser aus Italien nach Deutschland gekarrt, um auf dem Rückweg deutsches Bier durch den sensiblen Naturraum der Alpen in den Mittelmeerraum zu exportieren? Der Schweizer Verein „Alpen-Initiativen“ vergibt Auszeichnungen für absurde Transporte. Dann geht es beispielsweise um Luxuswasser, das von den Fidschi-Inseln über 22.000 Kilometer nach Europa gebracht wird oder Schweizer Milch, die in Deutschland in Dosen abgefüllt wird, um dann wieder per Lastwagen ins Alpenland zurück gefahren zu werden. Die Corona-Krise verdeutlichte einen anderen Wahnsinn: Wir haben uns bei Arzneimitteln und Schutzausrüstung für den medizinischen Bereich weitgehend von Importen aus Asien und damit von langen Logistikketten, die auch mal brüchig sein können, abhängig gemacht. Auch der zunehmende Bestellhandel produziert unnötig Verkehr. Weil immer häufiger 24 Stunden-Services in Anspruch genommen werden, können keine verkehrsoptimierten Lieferrouten geplant werden. Jede Straße muss täglich für relativ wenige Pakete angefahren werden statt einmal wöchentlich gebündelte Auslieferungen vornehmen zu können.
- Für die Verlagerung von Verkehren kommt der Bahn als zentralem Element der „kritischen Infrastruktur“ eine herausragende Rolle zu. Die Bahn wurde jedoch durch die Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte deutlich geschwächt. Während die Straßen massiv ausgebaut wurden, erfuhr das Schienennetz eine Schrumpfung. Eine Trendumkehr ist leider nicht in der erforderlichen Konsequenz erkennbar. Zwar steigen die Haushaltsmittel des Bundes für den Erhalt der Schieneninfrastruktur und es gibt deutlich mehr Geld für den Ausbau von S‑Bahnen. Zugleich wurden für das laufende Haushaltsjahr die Mittel für den Aus- und Neubau der Schienenwege gekürzt. Besonders fatal: Im Bundesverkehrswegeplan ist der Bau von 4.500 Kilometer neuen Bundessstraßen vorgesehen. Während es in Deutschland – von Ausnahmen abgesehen – genügend Straßen gibt, besteht bei den Schienenwegen ein erheblicher Nachholbedarf. Dazu ist eine Kurskorrektur bei der Finanzierung erforderlich: Heute fließen die gesamten Einnahmen aus der Lkw-Maut (acht Milliarden Euro jährlich) in den Straßenbau. Wir wollen diese „Straßenbaumaschine“ abschalten und einen Teil der Mittel der Schiene zugutekommen lassen.
- Wer statt ewiger Sonntagsreden über „Güter auf die Schiene“ etwas bewegen möchte und tatsächlich den Schienengüterverkehr stärken will, muss neben dem Ausbau der Schienenwege für eine gerechtere Kostenanlastung sorgen. Die Lkw-Mautsätze sind zu niedrig, die Trassenpreise für Züge hingegen zu hoch. Darüber hinaus sind viele weitere Stellschrauben für den Gütertransport auf der Schiene zu drehen: Mehr Bahnstrecken müssen elektrifiziert und die Digitalisierung muss voran gebracht werden. Im grenzüberschreitenden Schienenverkehr müssen bürokratische Hürden, die es für den Lkw nicht gibt, abgebaut werden. An Österreich und der Schweiz sehen wir, dass die Verlagerung gelingen kann.
- Auch im Personenverkehr besteht ein enormes Vermeidungs- und Verlagerungspotential weg von Auto und Flugzeug. Während der Corona-Krise hat sich das Potential von Homeoffice und Videokonferenzen offenbart. Manche Wege lassen sich damit auch in normalisierten Zeiten einsparen. Mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Fahrkarten im Fernverkehr der Bahn wurde ein wichtiger Schritt hin zur Verkehrsverlagerung gemacht. Entscheidender sind gute, verlässliche Angebote. Hierzu gehört, dass die Bahn (wieder) in die Fläche gebracht wird. Es ist ein Skandal, dass in Deutschland zwar jedes Haus mit einer Straße erschlossen wird, aber weit über 100 Unterzentren nicht per Bahn erreichbar sind. Ein Ansatzpunkt muss die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken sein. Zentral für die Lösung ist der Deutschlandtakt. Es geht darum, wieder deutlich mehr Großstädte an den Fernverkehr anzubinden. Die Züge werden in Knotenbahnhöfen so aufeinander abgestimmt, dass ohne zu langes Warten und mit gesicherten Anschlüssen in alle Richtungen umgestiegen werden kann. Der hierfür erforderliche Fahrplan wird gerade ausgetüftelt. Die Politik muss regulatorisch – gegebenenfalls durch Zuschüsse – sicherstellen, dass die in diesem Fahrplan unterstellten Züge tatsächlich gefahren werden. Ergänzt werden sollte der Deutschlandtakt durch schnelle Sprinterzüge, die mit wenigen Halten die großen Metropolen untereinander verbinden sowie durch mehr Nachtzüge, die europäische Städte verknüpfen.
- Verkehre, die sich weder vermeiden noch verlagern lassen, müssen auf alternative Antriebssysteme umgestellt werden. Für verschiedene Fahrzeugtypen bieten sich unterschiedliche Technologien an. Beim Auto hat der batterieelektrische Antrieb eindeutig die Nase vorn. Er weist nur geringe Stromverluste auf und die Angebotspalette der Hersteller wächst stetig. Bei Lastwagen und Schiffen kommen die Brennstoffzelle und auch E‑Fuels, also auf Strombasis hergestellte Kraftstoffe, in Frage. Sowohl bei batterieelektrischen als auch bei brennstoffzellenbasierten Antrieben muss weiter an der Reduzierung von problematischen Rohstoffen gearbeitet werden. Ebenso besteht bei der Produktion von Wasserstoff für die Brennstoffzellen Entwicklungsbedarf: Noch wird dieser überwiegend unter dem Einsatz von Erdgas hergestellt. Die Umstellung auf die strombasierte Erzeugung erfordert große Mengen an Strom und macht den Wasserstoff noch sehr teuer.
Für die Erfüllung der Klimaziele im Verkehrssektor und die dafür erforderliche Verkehrswende mangelt es nicht an Erkenntnissen, Ideen und Konzepten. Es mangelt an der politischen Entschlossenheit, wie wir sie in der Corona-Krise zum Schutz der Gesundheit erleben durften. Auch wenn es – anders als bei Corona – nicht auf Tage ankommt: Viel Zeit verbleibt uns dennoch nicht mehr. Wir sollten daher das Notwendige jetzt entschlossen anpacken.