NBS Wendlingen – Ulm geht in Betrieb

06.12.2022

Start mit Einschränkungen

Der neue Dop­pel­stock­zug, wie er auf der Regio­nal­ver­bin­dung mit Zwi­schen­halt in Mer­k­lin­gen zum Ein­satz kom­men soll – aller­dings erst ab Ende 2025. Zum Bild: Ent­wurf zu Illus­tra­ti­ons­zwe­cken. ©Als­tom Advan­ced & Crea­ti­ve Design

Mit dem Fahr­plan­wech­sel geht die Neu­bau­stre­cke zwi­schen Wend­lin­gen und Ulm über die Schwä­bi­sche Alb in Betrieb. Doch in ihren ers­ten Jah­ren wird sie nur ein­ge­schränkt nutz­bar blei­ben. Auch bei den Zügen gibt es erst­mal eine pro­vi­so­ri­sche Lösung.

Ursprüng­lich war vor­ge­se­hen, dass die Stre­cke zeit­gleich mit „Stutt­gart 21“ star­tet („Bahn­pro­jekt Stutt­gart – Ulm“). Doch das Bahn­hofs­pro­jekt mit­samt der Neu­bau­stre­cke ent­lang von Flug­ha­fen und Auto­bahn bis Wend­lin­gen ver­zö­gert sich bis min­des­tens Ende 2025. Die bis dahin ein­zi­ge Zufüh­rung auf die neue Renn­pis­te bei Wend­lin­gen ist nur ein­glei­sig. Sie führt bei Wend­lin­gen in die nörd­li­che Röh­re des Alb­vor­land­tun­nels. Die­se Güter­kur­ve für (rea­lis­tisch betrach­tet wegen der zu gro­ßen Stei­gung auf der Neu­bau­stre­cke nicht zu erwar­ten­de) Güter­zü­ge ist nur ein­glei­sig und befin­det sich auf der ande­ren Auto­bahn­sei­te als die „Wend­lin­ger Kur­ve“ bei Ober­boi­hin­gen. Vor Jah­ren wur­de die Pla­nung für die Güter­kur­ve dahin­ge­hend geän­dert, dass eine Über­leit­stel­le im Tun­nel von der einen in die ande­re Röh­re ent­fal­len ist. Zu anspruchs­voll wäre der Brand­schutz für die­se Ver­bin­dung gewe­sen. Dies hat nun zur Fol­ge, dass nur eine der Röh­ren an die Güter­kur­ve ange­bun­den ist. Fak­tisch esteht damit auf über acht Kilo­me­ter nur ein Gleis zur Ver­fü­gung. Fol­ge: Es kann nur eine sehr begrenz­te Anzahl an Zügen fah­ren[1]. Mehr Züge wür­de der hoch belas­te­te Stre­cken­ab­schnitt zwi­schen Plochin­gen und Wend­lin­gen aber auch kaum auf­neh­men kön­nen. Da die Züge auf einem Teil der Gesamt­stre­cke zwi­schen  Stutt­gart und Ulm, näm­lich auf der Bestandstre­cke und der Güter­kur­ve bei Wend­lin­gen, kei­ne hohen Geschwin­dig­kei­ten fah­ren kön­nen, wer­den gegen­über bis­her „nur“ bis zu 18 Minu­ten an Fahr­zeit ein­ge­spart. Eine wei­te­re Fahr­zeit­re­du­zie­rung tritt dann ein, wenn die Züge vom Stutt­gar­ter Haupt­bahn­hof kom­mend den neu­en Fil­der­tun­nel hin­auf und die Neu­bau­stre­cke ent­lang der Auto­bahn befah­ren kön­nen. Die­se Neu­bau­stre­cke mün­det dann direkt in die bei­den Tun­nel­röh­ren des Alb­vor­land­tun­nels der Neu­bau­stre­cke Wend­lin­gen – Ulm.

Exkurs: Auch mit Start von S 21 lücken­haf­te Infra­struk­tur

Mit dem Fahr­plan­wech­sel im Dezem­ber 2025 soll Stutt­gart 21 mit dem Tief­bahn­hof als Kern­ele­ment in Betrieb gehen. Aus unse­rer (grü­nen) Sicht ist das Pro­jekt, wie es sich im Bau befin­det, zur Bewäl­ti­gung erheb­lich grö­ße­rer Zug­zah­len im Rah­men einer Mobi­li­täts­wen­de unge­eig­net. Daher for­dern wir mehr Kapa­zi­tät im Kno­ten Stutt­gart, bei­spiels­wei­se in Form einer ergän­zen­den unter­ir­di­schen Ergän­zungs­sta­ti­on. Eine poli­ti­sche Mehr­heit hier­für ist lei­der nach wie vor nicht abseh­bar. An den Zulauf­stre­cken wur­den hin­ge­gen bereits Ver­bes­se­run­gen vor­ge­nom­men. So wur­de aus der nicht kreu­zungs­frei­en klei­nen Wend­lin­ger Kur­ve (ein­glei­sig) die erheb­lich leis­tungs­fä­hi­ge­re kreu­zungs­freie gro­ße (zwei­glei­si­ge) Wend­lin­ger Kur­ve. Die­se wird jedoch vor­aus­sicht­lich erst 2027 fer­tig­ge­stellt wer­den. Im Nord­zu­lauf wer­den zusätz­li­che Glei­se geplant, mit denen die Hoch­ge­schwin­dig­keits­stre­cke von Mann­heim kom­mend direkt in den Haupt­bahn­hof geführt wird. Der neue „Tief­bahn­hof“ am Flug­ha­fen wird Ende 2025 nur aus und in Rich­tung Haupt­bahn­hof Stutt­gart befah­ren wer­den kön­nen (kei­ne Durch- bzw. Wei­ter­fahr­ten). Die Züge aus und nach Ulm und Tübin­gen fah­ren auf der Neu­bau­stre­cke am Flug­ha­fen-Bahn­hof vor­bei. Der Grund: Es fin­den Bau­vor­leis­tun­gen für den Anschluss des Pfaf­fen­steig­tun­nels (Anbin­dung der Gäu­bahn) statt. Der Tun­nel Cannstatt wird bis 2027 nur ein­glei­sig betrie­ben, da  hier Bau­vor­leis­tun­gen für die spä­te­re Rea­li­sie­rung der P‑Option vor­ge­nom­men wer­den.

Digi­ta­le Aus­stat­tung von Stre­cke und Fahr­zeu­gen

Der „Kno­ten Stutt­gart“ wird der ers­te gro­ße Anwen­dungs­fall für eine digi­ta­le Leit- und Steue­rungs­tech­nik (ETCS) in einem Bahn­kno­ten. ETCS dient der Erleich­te­rung grenz­über­schrei­ten­der, euro­päi­scher Bahn­ver­keh­re. Die­se Tech­no­lo­gie erlaubt zudem auch dich­te­re Takt­fol­gen, wenn die orts­fes­ten Signa­le ent­fal­len. Daher wol­len wir als Grü­ne im Grund­satz auch kei­ne Dop­pel­aus­stat­tung mit ETCS und PZB (Punkt­för­mi­ge Zug­be­ein­flus­sung, bis­her vor­herr­schen­der tech­no­lo­gi­scher Stan­dard). Denn mit dem gleich­zei­ti­gen Ein­satz bei­der Tech­no­lo­gien gehen (ins­be­son­de­re in den Kno­ten) sämt­li­che Vor­tei­le von ETCS ver­lo­ren (kür­ze­re Durch­rutsch­we­ge -> weni­ger Fahr­stra­ßen­aus­schlüs­se in Ein- und Aus­fahrt etc). Im Kno­ten Ulm wird lei­der noch kein ETCS ange­bo­ten, son­dern wei­ter­hin auf PZB gesetzt. Dies führt dazu, dass die Züge auf dem Teil­ab­schnitt zwi­schen Ulm und Schwä­bi­scher Alb sehr lang­sam fah­ren wer­den. Um dies zu ver­mei­den, hät­te der Kno­ten Ulm wie der in Stutt­gart bis 2025 digi­ta­li­siert wer­den müs­sen. Dazu wäre dann aber auch die ETCS-Aus­stat­tung in allen Zügen, die den Kno­ten befah­ren, not­wen­dig gewe­sen. Dies ist lei­der nicht erfolgt. Das Bei­spiel zeigt: Wir müs­sen ent­schie­de­ner und schnel­ler sein bei der Digi­ta­li­sie­rung von Infra­struk­tur und Fahr­zeu­gen, so dass deren Vor­tei­le voll aus­ge­spielt wer­den kön­nen.

Blick über die Neu­bau­stre­cke Wend­lin­gen – Ulm hin­aus

Die Inbe­trieb­nah­me der 60 Kilo­me­ter lan­gen Neu­bau­stre­cke Wend­lin­gen – Ulm wird für Jah­re die letz­te gewe­sen sein (abge­se­hen von der Feh­marn­bel­t­an­bin­dung; hier gibt es teil­wei­se Neu­bau­ab­schnit­te, jedoch soll die­se als Ersatz für bestehen­de Infra­struk­tur die­nen). Dies beschreibt das Dilem­ma der deut­schen Bahn­po­li­tik: Es wur­de Jahr­zehn­te Infra­struk­tur zurück gebaut, doch der Schie­nen­ver­kehr nimmt rasant zu und wir schaf­fen kaum neue Kapa­zi­tä­ten. Dazu kommt ein stark ver­zö­ger­ter Fort­schritt bei der Pla­nung der nächs­ten Neu­bau­stre­cken. Hier braucht es ein kla­res poli­ti­sches Bekennt­nis und ein kon­struk­ti­ves Ein­brin­gen der Regio­nen.

Fahr­zeug-Ein­satz

Mit der Inbe­trieb­nah­me der Neu­bau­stre­cke Wend­lin­gen – Ulm wer­den Fahr­plä­ne deut­lich umge­stellt. Auch für die Anfor­de­run­gen an die Züge ver­än­dern sich Vor­aus­set­zun­gen: Sie müs­sen alle mit der Siche­rungs­tech­nik ETCS aus­ge­stat­tet sein. Das erfor­dert über­gangs­wei­se Impro­vi­sa­ti­on.

Die Stre­cke Wend­lin­gen – Ulm ver­fügt aus­schließ­lich über ETCS („Euro­pean Train Con­troll Sys­tem“). Auf eine Dop­pel­aus­stat­tung mit ETCS und PZB (Punkt­för­mi­ge Zug­be­ein­flus­sung, bis­her vor­herr­schen­der tech­no­lo­gi­scher Stan­dard) wird bewusst ver­zich­tet. Denn mit dem gleich­zei­ti­gen Ein­satz bei­der Tech­no­lo­gien könn­te ETCS sei­ne Vor­tei­le (u. a. enge­re Zug­tak­tung) nicht aus­spie­len. Da jedoch die neu­en Regio­nal­zü­ge, die am Regio­nal­halt in Mer­k­lin­gen auf der Schwä­bi­schen Alb hal­ten sol­len, erst bestellt wur­den, muss­te eine Über­gangs­lö­sung gefun­den wer­den. Die Zwei­te Her­aus­for­de­rung neben der fahr­zeug­sei­ti­gen Aus­stat­tung mit ETCS: Die Züge müs­sen bis zu 200 Stun­den­ki­lo­me­ter schnell fah­ren kön­nen. Daher hat man sich dazu ent­schie­den, vor­über­ge­hend alte Fahr­zeu­ge des Mün­chen-Nürn­berg-Express zu nut­zen, da die­se für die Geschwin­dig­keit aus­ge­legt sind. Die­se wer­den vor­ne und hin­ten je mit einer Sie­mens Vec­tron (Br 193) bespannt, um die ETCS-Fähig­keit zu gewähr­leis­ten. Dies ist sicher­lich kei­ne Ide­al­lö­sung, da sich vie­le Fahr­gäs­te ver­mut­lich auf neue Züge gefreut haben dürf­ten. Es wur­de aber prag­ma­tisch ein gang­ba­rer Weg gefun­den, um das Betriebs­kon­zept fah­ren zu kön­nen. Älte­res Wagen­ma­te­ri­al mit ETCS aus­zu­stat­ten wäre gegen Ende von deren Lebens­dau­er nicht wirt­schaft­lich gewe­sen und hät­ten womög­lich die ohne­hin knap­pen Werk­statt­ka­pa­zi­tä­ten über­be­an­sprucht. Für Mer­k­lin­gen und die Regi­on ist der Halt an der Neu­bau­stre­cke auf jeden Fall ein Rie­sen­ge­winn.

Für den lang­fris­ti­gen Betrieb ist eine Trieb­zug­lö­sung vor­ge­se­hen. Das Land hat 130 Cora­dia Stream HC (sie­he Bild oben) für die Stutt­gar­ter Net­ze bestellt. Die ers­ten der neu­en Züge sol­len ab der Inbe­trieb­nah­me von „Stutt­gart 21“ (vor­ge­se­hen Ende 2025) zur Ver­fü­gung ste­hen. Die rest­li­chen Fahr­zeu­ge sol­len bis zum Jahr 2027 aus­ge­lie­fert wer­den, wie mir Als­tom auf Anfra­ge mit­teil­te. Es han­delt sich um Dop­pel­stock­zü­ge, von denen ich auf der Bahn­mes­se „Inno­trans“ in Ber­lin bereits ein Fahr­zeug (aller­dings abwei­chen­din Kon­fi­gu­ra­ti­on und Licht­raum­pro­fil) anschau­en konn­te.

Da die neu­en Fahr­zeu­ge, wie bereits ange­deu­tet, bis zu 200 km/h schnell fah­ren kön­nen müs­sen und ETCS-Stre­cken – in Abhän­gig­keit der bau­li­chen Beschaf­fen­hei­ten – kei­ne Limi­tie­rung auf 160 km/h wie bei PZB haben, soll­te die­ser Vor­teil auch auf ande­ren Stre­cken aus­ge­spielt wer­den. Dazu bedarf es auf eini­gen Stre­cken, bei­spiels­wei­se der Murr­bahn, infra­struk­tu­rel­le Anpas­sun­gen. So könn­ten wei­te­re Regio­nal­ver­keh­re beschleu­nigt und Rei­se­zei­ten ver­kürzt wer­den, wenn dies zur Errei­chung von Kan­ten­fahr­zei­ten not­wen­dig ist.

[1] Pro Stun­de sind erst­mal drei Fern- sowie zwei Regio­nal­zü­ge vor­ge­se­hen.