23.11.2019, ergänzt am 26.11.2019
Stuttgart 21 droht die S‑Bahn auszubremsen
Bislang steht für die Fälle, in denen der S‑Bahn-Tunnel zwischen Hauptbahnhof und der Station Österfeld gesperrt ist, die „Panoramabahn“-Strecke zur Verfügung, die am ehemaligen Westbahnhof vorbei führt. Mit Stuttgart 21 sollen sowohl die Anbindung dieser Strecke an den Hauptbahnhof als auch die 16 Kopfbahnhofgleise entfallen. Dies bedeutet: Die S‑Bahnen müssen, sollen sie nicht ausfallen bzw. vorzeitig enden, den Tiefbahnhof mit seinen nur acht Gleisen nutzen. Die S‑Bahnen, die in Richtung Süden bzw. den Filderbereich verkehren, müssten den neuen Fildertunnel zum Flughafen nutzen.
Dies alles wirft zahlreiche Fragen rund um die Kapazitäten auf, die der zukünftige Bahnknoten bietet.
Erschreckend ist, dass noch immer kein Störfallkonzept vorliegt. Dies bestätigt mir die Deutsche Bahn (DB) in einem Antwortschreiben vom 28. Mai 2019. Noch erschreckender ist die Aussage der DB, dass für den Störungsfall bei der S‑Bahn „keine Kapazitäten bzw. Trassen freigehalten werden können.“ Dies bedeutet: Ob dann überhaupt noch eine S‑Bahn in den Hauptbahnhof und auf die Filder fahren kann, hängt von der aktuellen Betriebssituation, insbesondere der Streckenauslastung, ab. Eine Garantie, dass S‑Bahnen an den Hauptbahnhof und auf die Filder gelangen, gibt es nicht.
Erfahrungsgemäß muss die Stammstrecke der S‑Bahn jährlich rund 200 Mal gesperrt werden, wie die Stuttgarter Zeitung am 16.10.2019 unter Berufung auf die Deutsche Bahn berichtete. Die S‑Bahnen nutzen dann den (oberirdischen) Hauptbahnhof. In den vergangenen Jahren wurde dies häufig praktiziert. Wie häufig dies genau der Fall war erfrage ich gerade über die Bundesregierung und die Deutsche Bahn. Die Anzahl der über die Panoramabahn umgeleiteten Züge der S‑Bahn lag im Jahr bei 679, im Jahr 2018 bei 988 und im Jahr 2019 bei 3.848 Zügen (bis 20.08.2019). An jeweils 130 bis 150 Betriebstagen erfolgten Umleitungen über diese Alternativstrecke. Quelle: Landtagsdrucksache 16/6741)
Völlig absurd ist, dass die Bundesregierung auf meine Anfrage am 31.07.2019 erklärte, zukünftig stünde „für Störungsszenarien eine wesentlich flexiblere und leistungsfähigere Infrastruktur zur Verfügung als heute.“ Dabei verwies sie darauf, die Fahrgäste könnten auf die Züge (gemeint sind Regional- und Fernverkehrszüge) ausweichen, die durch den Fildertunnel zwischen Hauptbahnhof und Flughafen sowie (betrifft die Züge der Gäubahn) auch weiter nach Böblingen und Herrenberg verkehren. Dafür sind zusätzliche Umstiege erforderlich und Nahverkehrstickets gelten im Fernverkehr normalerweise nicht. Wie die Stationen dazwischen bzw. abseits dieser Strecke angedient werden sollen (z. B. Echterdingen, Leinfelden, Filderstadt) erklärte die Bundesregierung nicht. Dafür behauptete die Bundesregierung, der Durchgangsbahnhof biete „Kapazitätsreserven“ für S‑Bahn-Züge, die dann auch den Fildertunnel nutzen könnten. Dabei wiederholt die Bundesregierung auf meine Nachfrage am 23.10.2019 das, was zuvor schon die DB ausgesagt hatte: Notfallkonzepte würden sich „an Kapazitätsreserven der verfügbaren Eisenbahninfrastruktur“ orientieren. Diese Reserven, so behauptet die Bundesregierung pauschal und ohne jeglichen Beleg, seien vorhanden. Konkretere Angaben seien aber erst möglich, wenn der Fahrplan zur Inbetriebnahme fertiggestellt sei. Zur pauschalen Behauptung, es geben Kapazitätsreserven, passt ebenfalls überhaupt nicht das, was eben diese Bundesregierung auf meine Frage nach der Kapazität des Fildertunnels bereits am 25.09.2019 einräumen musste: „In den Planfeststellungsentscheidungen für Stuttgart 21 gibt es keine Angaben zur Anzahl der im Tunnel verkehrenden Züge.“ Im zweiten Entwurf des Zielfahrplans 2030 (erstellt im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums für den Deutschlandtakt) sind pro Stunde und Richtung 10,5 Fern- und Regionalzüge im Tunnel zwischen dem neuen Hauptbahnhof und den Fildern vorgesehen. Wo hier noch freie Trassen für S‑Bahnen zu finden sein sollen dürfte das Geheimnis der Bundesregierung bleiben.
Ziel muss bleiben, dass die Panoramabahn-Strecke an den zukünftigen Hauptbahnhof angebunden wird und dieser um zusätzliche Gleise erweitert wird. Nur dann kann gewährleistet werden, dass Stuttgart 21 die S‑Bahn nicht aus der Bahn wirft. Ich erwarte, dass der Verband Region Stuttgart (VRS) als Aufgabenträger für die S‑Bahn seine blinde und völlig unkritische Unterstützung von Stuttgart 21 aufgibt und endlich als Interessenvertretung für eine leistungs- und entwicklungsfähige S‑Bahn in der Region eintritt. Es braucht jetzt zumindest ein vorläufiges Notfallkonzept für die S‑Bahn und nicht erst dann, wenn der endgültige Fahrplan für die Zeit ab Inbetriebnahme von Stuttgart 21 feststeht. Dann kann es zu spät sein, um erforderliche Anpassungen an der Infrastruktur vorzunehmen.