Verteiler:
DB Regio S‑Bahn Stuttgart und DB Netz
Verband Region Stuttgart
Filderstadt, 31.07.2014
Unzuverlässigkeit der S‑Bahn in der Region Stuttgart
Sehr geehrte Damen und Herren,
die anhaltende Unzuverlässigkeit der S‑Bahnen in der Region Stuttgart ist besorgniserregend. Sie gefährdet das Ziel, Straßenverkehr, der die Menschen mit Lärm und Abgasen belastet und zu täglichen Staus führt, zu verringern und deutlich mehr Fahrgäste für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu gewinnen. Meiner Einschätzung nach braucht es eine Offensive aller Beteiligten – allen voran der Deutschen Bahn (DB Regio und DB Netz). Die S‑Bahn muss fit gemacht werden für die Anforderung, mehr Fahrgäste als bisher pünktlicher als in den letzten Jahren zur vollsten Kundenzufriedenheit zu befördern.
Haltezeiten insbesondere an den Haltestellen „Hauptbahnhof“ und „Stadtmitte“ verkürzen
Die größten Sorgen machen mir die neuen Züge der Baureihe ET 430:
1. Durch den Einbau der (nicht funktionstüchigen) Schiebetritte wurde der Einstiegsbereich erhöht. Vom Bahnsteig in die S‑Bahnen muss nun eine Schwelle von bis zu 9,5 cm überwunden werden. Damit ist die Barrierefreiheit in noch weitere Ferne gerückt. Für Menschen mit Bewegungseinschränkungen sind zusätzliche, gravierende Mobilitätshürden entstanden. Sie sind oftmals beim Ein- und Ausstieg auf fremde Hilfe angewiesen, anstatt selbstständig mobil sein zu können. Das darf in der heutigen Zeit nicht sein! Zumal der Verband Region Stuttgart ein Konzept für die Barrierefreiheit durch Bahnsteigaufhöhung erarbeitet hat, das durch die neuen S‑Bahnen – verschärft durch die funktionsuntüchtigen Schiebetritte – konterkariert wird. Folgender Erfahrungsbericht wurde mir von einem Mann, der auf einen E‑Rollstuhl angewiesen ist, zur Verfügung gestellt:
2. Mir wurde darüber hinaus mehrfach berichtet, wie Fahrgäste beim Einstieg über diese Schwelle gestolpert sind; einmal habe ich dies selbst miterlebt. Für die Betroffenen sind die neuen Züge eine Zumutung. Die Schwelle ist eine Mobilitätsbremse und verzögert damit nicht selten die zügige Abfahrt der S‑Bahnen.
„Die neuen S‑Bahnen der Baureihe ET 430 sind durch die neue Einstiegshöhe zu einer (weiteren) Barriere geworden. (…) Konnte ich beim Vorgängermodell noch ohne fremde Hilfe ein- und aussteigen, ist dies nun nicht mehr möglich. Auch auf den in den Vorgängermodellen gut zugänglichen Innenstadt-Haltestellen Schwabstraße, Feuersee, Stadtmitte, HBF kann ich nicht mehr in den Zug ein- oder aussteigen, ohne dass mir der Zugführer die Rampe zur Verfügung stellt. Dies ist für alle Parteien ein Ärgernis. Für mich als Betroffenen, für den Zugführer, der einen enormen Mehraufwand hat, um die sehr schweren neuen Rampen zurecht zu legen und zusätzlich seinem Zeitplan hinterherhetzen muss und die anderen Zuggäste, die im schlimmsten Fall einige Minuten mit dem Zug stehen müssen. Hinzu kommt, dass die Zugführer häufig vergessen, an welcher Haltestelle ich wieder aussteigen möchte. Wenn dann andere Fahrgäste nicht schnell reagieren und an die Führerkabine klopfen, fahre ich ungewollt weiter …“
Die Herstellerfirma Bombardier hat mir in ihrem Antwortschreiben mitgeteilt, dass die Schiebetritte erst im Jahr 2016 in Betrieb genommen werden können. Ohne diese Schiebetritte gäbe es aber die derzeitigen Probleme überhaupt nicht. Die Schiebetritte haben die Aufgabe, den Spalt zwischen Zug und Bahnsteigkante zu überwindenden (was zweifelsfrei sinnvoll ist) und sollen darüber hinaus auch den Höhenunterschied ausgleichen, den sie durch das erhöhte Türniveau selbst verursachen. Die Schiebetritte sollen also zwei Probleme lösen. Beim ersten, der Überwindung des Spaltes versagen die ausgelieferten Züge. Das zweite Problem, den Niveauunterschied zwischen Bahnsteig und Eingang in den Zug, werden durch die Schiebetritte verursacht und von diesen nun nicht gelöst.
Selbst dann, wenn die Schiebetritte funktionieren, bleibt das Problem, dass die Türen zum Öffnen zu viel Zeit benötigen. Dies muss dringend geändert werden, um eine zügigere Weiterfahrt zu ermöglichen und für nachfolgende Züge die Bahnhofsgleissperrzeiten zu verringern.
Besonders ärgerlich ist, dass die Züge von Bombardier ausgeliefert wurden, ohne dass sie zuvor im realen Betrieb getestet wurden. Zu den genannten Kritikpunkten kommt hinzu, dass die Züge der Baureihe ET 430 nicht mit ihren Vorgängermodellen gekoppelt werden können. Dies schränkt die Flexibilität im Einsatz ein.
Weitere Punkte, die aus meiner Sicht gelöst werden sollten:
3. Von der DB Netz AG erwarte ich die rasche Vorlage eines Sanierungs- bzw. Modernisierungsprogramms für die S‑Bahn in der Region inklusive Priorisierung der Maßnahmen und Finanzierungsvorschlägen, das Gleisanlagen inklusive Weichen, Signaltechnik, Oberleitungen und den Bereich der Kommunikation umfasst.
4. Die Räumungszeiten von bis zu zwei Minuten, die ein S‑Bahn-Zug nach Verlassen des vorausfahrenden Zuges zur Einfahrt in den Bahnhof warten muss, frisst zu viel kostbare Zeit. Es ist zu prüfen, wie die Mindestzugfolgezeit mittels neuer Signalsteuerung in den Bahnhöfen reduziert werden können.
5. Über den genauen Haltebereich von Kurzzügen sollte besser informiert werden, da zu viele Fahrgäste am Bahnsteig an der falschen Position warten und dann zu den Zügen laufen, wodurch viele Fahrgäste an nur ein oder zwei Türen hineindrängen. Dies verzögert den zügigen Einstieg und die rasche Abfahrt der S‑Bahnen. Denkbar sind besser erkennbare Hinweise (z. B. Lichtbänder) an den Wänden hinter den Gleisen und zusätzliche Bodenmarkierungen.
6. Einige Züge älterer Baureihen zeigen auf der Seite nicht das Fahrtziel an oder die Anzeigen funktionieren allzu häufig nicht, wodurch manche Fahrgäste verunsichert sind und verspätet einsteigen. Lautsprecherdurchsagen an den Bahnsteigen sind häufig nicht zu verstehen.
7. Defekte Türen an den S‑Bahnen – nach subjektivem Empfinden in letzter Zeit gehäuft auftretend – verzögern den Ein- und Ausstieg und damit die Weiterfahrt der S‑Bahnen. Die Wartung und Reparatur dieser Züge sollte verbessert werden.
8. Lautsprecheransagen in den S‑Bahnhöfen sind häufig nicht zu verstehen. Es sollte geprüft werden, ob sich die Akustik verbessern lässt. Häufig ist es auch so, dass die Durchsagen während der Ein- oder Ausfahrt von Zügen erfolgen und im Lärm nicht zu verstehen sind.
9. Auch Lautsprecherdurchsagen in den Zügen sind häufig kaum zu verstehen. Dies verzögert die Abfahrt der S‑Bahnen beispielsweise dann, wenn die Bereiche an den Türen frei gemacht werden sollen.
10. Zu häufig zeigen die Anzeigetafeln in den Bahnhöfen entweder nichts oder die falsche S‑Bahn an. Irritationen unter den Fahrgästen verzögern den Einstieg.
11. An den Endstationen im S‑Bahn-Netz (bspw. Filderstadt) sollten generell Ersatzzüge bereit gestellt werden, damit aus verspätet ankommenden nicht zwangsläufig verspätet startende S‑Bahnen werden.
Und mit Blick in die Zukunft:
12. Mit Stuttgart 21 soll zwischen der geplanten Rohrer Kurve und dem Flughafen ein Mischverkehr entstehen, indem Fernverkehrszüge auf die ausschließlich für S‑Bahnen gebaute Trasse geschickt werden. Anderswo werden Mischverkehre für teures Geld getrennt. Auf den Fildern soll das genaue Gegenteil geschehen. Im Konfliktfall, wenn Nah- und Fernzüge gleichzeitig auf die Strecke wollen, werden die Fernverkehrszüge in der Regel bevorrechtigt und die S‑Bahnen geraten in Zeitverzug. Es ist bekannt, dass einzelne verspätete S‑Bahnen sich im Netz, das kapazitätsmäßig am Anschlag ist, sich negativ auf die Pünktlichkeit anderer S‑Bahnen auswirken. Die Planungen für Stuttgart 21 auf den Fildern gefährden damit in erheblichem Umfang die Stabilität der S‑Bahn-Fahrpläne aller Linien.
13. Der Verband Region Stuttgart (VRS) hat selbst festgestellt, dass die Regelungen für die Strafen der DB bei Verspätungen „keinerlei echten Anreiz zur Verringerung von Störungen“ bieten (Sitzungsvorlage 237/2014). Daher ist es richtig, schnellstmöglich zu einer Neuregelung zu kommen.
14. Um das S‑Bahnnetz im Innenstadtring zu entlasten, sind weitere Ringschlüsse zu planen. Die S 60 ist ein positives, bereits realisiertes Beispiel. Als ein weiteres sollte die Fortführung der Schienenverbindung vom künftigen Endbahnhof der Linie S 2 in Neuhausen ins Neckartal näher untersucht werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn Sie in Ihren Bemühungen um mehr Verlässlichkeit bei den S‑Bahnen Unterstützung seitens der Bundespolitik benötigen, biete ich mich hierfür sehr gerne an.
Wir müssen alle zusammen wirken, wenn wir unser gemeinsames Ziel erreichen wollen: Durch eine verlässliche und damit attraktive S‑Bahn Fahrgäste zu halten und neue dazu zu gewinnen!
Mit freundlichen Grüßen