Politikwissenschaftlicher Blick auf die Landtagswahl

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24.03.2021

Gespräch mit Prof. Debus (Mannheim) – Ausblick auf Bundestagswahl

Die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler haben über die Zusam­men­set­zung des neu­en Land­tags in Baden-Würt­tem­berg ent­schie­den. Wel­che Optio­nen einer Regie­rungs­bil­dung bestehen und wo lie­gen die jewei­li­gen Chan­cen? Wel­che Hür­den wären für wel­che Regie­rungs­kon­stel­la­ti­on zu über­win­den? Auf wel­chen lan­des- und bun­des­po­li­ti­schen Ein­flüs­sen grün­den Ver­lus­te und Gewin­ne der Par­tei­en im Land? Was lässt sich aus den Wahl­er­geb­nis­sen für die Bun­des­tags­wahl im Sep­tem­ber ablei­ten? Dar­über sprach ich in einer öffent­li­chen Video­ver­an­stal­tung mit dem Mann­hei­mer Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Prof. Marc Debus. Zu des­sen Arbeits­schwer­punk­ten zäh­len die poli­ti­schen Par­tei­en und die Ana­ly­se von Koali­ti­ons­bil­dun­gen der letz­ten Jahr­zehn­te.

Der Refe­rent ging zunächst auf die Theo­rie der Regie­rungs­bil­dung ein. Die­se sei bedingt durch nut­zen­ma­xi­mie­ren­de wie insti­tu­tio­nell-kon­tex­tu­el­le Fak­to­ren. Dazu wür­den gehö­ren: Ämter­ma­xi­mie­rung durch die kleinst­mög­li­che Koali­ti­on, gerin­ge Poli­cy-Distanz, Vor­teil der stärks­ten Par­la­ments­par­tei, den Amts­in­ha­ber­vor­teil (s. u.), die Kon­gru­enz zur Bun­des­ebe­ne (u. a. Mehr­heits­si­tua­ti­on im Bun­des­rat) sowie posi­tiv wie nega­tiv for­mu­lier­te Koali­ti­ons­aus­sa­gen. Kon­kret auf Baden-Würt­tem­berg bezo­gen wür­de das Theo­rie­mo­dell mit einer Wahr­schein­lich­keit von 52 Pro­zent zu einer Neu­auf­la­ge von Grün-Schwarz füh­ren. Wird der Aspekt „Amts­in­ha­ber­vor­teil“ (damit ist der Start­vor­teil für die bis­he­ri­ge Kon­stel­la­ti­on gemeint) her­aus­ge­nom­men, so wür­de sich das Ergeb­nis deut­lich ver­än­dern: Grün-Schwarz hät­te dann nur noch eine Wahr­schein­lich­keit von 26 Pro­zent. Mit 51 Pro­zent läge die „grü­ne Ampel“, bestehend aus Grü­nen, SPD und FDP, vor­ne. Bei die­ser zwei­ten Wahr­schein­lich­keits­rech­nung kom­men inhalt­li­che Schnitt­punk­te stär­ker zum Tra­gen.

Dass die Par­tei­en­land­schaft gera­de mäch­tig in Bewe­gung gekom­men ist mach­te Pro­fes­sor Debus an der Tat­sa­che fest, dass rech­ne­risch sogar fast ein grün-gel­bes Bünd­nis mög­lich gewor­den wäre. Doch wie steht es aktu­ell und per­spek­ti­visch mit Blick auf die Bun­des­tags­wahl um die ein­zel­nen Par­tei­en? Hier eine kur­ze Über­sicht über die Ein­schät­zun­gen des Par­tei­en­for­schers:

Grü­ne

In Rhein­land-Pfalz wie auch in Baden-Würt­tem­berg hät­ten die jewei­li­gen Amtsinhaber*innen ihren Par­tei­en (SPD bzw. Grü­nen) Vor­tei­le gebracht. Wel­cher Anteil der guten Ergeb­nis­se auf die Ministerpräsidentin/den Minis­ter­prä­si­den­ten ent­fal­len wür­den, lie­ße sich aber nicht sagen. In Baden-Würt­tem­berg sei­en die hohen Kom­pe­tenz- und Pro­blem­lö­sungs­zu­schrei­bun­gen zuguns­ten der Grü­nen auf­fäl­lig gewe­sen. Kret­sch­mann habe mit sei­ner Boden­stän­dig­keit und sei­ner „mode­ra­ten Poli­tik“, für die die Grü­nen in Baden-Würt­tem­berg auch stün­den, gepunk­tet. Die Grü­nen hät­ten sich dar­über hin­aus als Con­tra-Punkt zur AfD und mit Posi­tio­nen zu Umwelt/Klima/Energie pro­fi­liert. Stim­mun­gen, so Prof. Debus, könn­ten jedoch schnell umschla­gen.

CDU (und CSU)

Die CDU hat­te in Baden-Würt­tem­berg Ver­lus­te erlit­ten und ihr bis­lang schlech­tes­tes Ergeb­nis ein­ge­fah­ren. Auch bun­des­weit sin­ken die Umfra­ge­wer­te der Uni­on. Nach Ein­schät­zung von Prof. Debus ste­he dies im Zusam­men­hang mit dem Coro­na-Kri­sen­ma­nage­ment und der „Mas­ken­af­fä­re“. In unse­rer schnell­le­bi­gen Zeit, in der noch dazu die Wähler*innen immer kurz­fris­ti­ger ihre Ent­schei­dun­gen tref­fen wür­den, kön­ne sich die Situa­ti­on wie­der ein­pen­deln. Der neue Par­tei­chef Armin Laschet habe sich in den letz­ten Wochen zurück gehal­ten, um mög­lichst wenig mit den erwähn­ten Pro­ble­men in Ver­bin­dung gebracht zu wer­den. Die Kanz­ler­kan­di­da­tur mit Mar­kus Söder der CSU zu über­las­sen sei für die CDU schwie­rig und die Erfah­run­gen damit sei­en, wie ein Rück­blick zei­ge, nicht gut. Zu Baden-Würt­tem­berg: Ein Wech­sel in die Oppo­si­ti­on kön­ne der CDU viel­leicht ermög­li­chen, AfD-Wähler*innen zurück zu gewin­nen. Ob dies funk­tio­nie­ren kön­ne, sei aber nicht zu bele­gen, da zu weni­ge Erfah­run­gen aus der Pra­xis vor­lä­gen.

SPD

Die Par­tei wür­de in Baden-Würt­tem­berg hin­ter Grü­nen und CDU kei­ne grö­ße­re Rol­le spie­len. Ein Unter­bau sei kaum vor­han­den. Im Bund sei der Wider­spruch schwer erklär­bar, der sich dar­aus ergä­be, dass Olaf Scholz bei der Wahl des Par­tei­vor­sit­zes durch­ge­fal­len, nun aber Kanz­ler­kan­di­dat sei. Die Scholz-Nomi­nie­rung sei auch des­halb ohne Effekt ver­pufft.

FDP

Aus heu­ti­ger Sicht stel­le sich die Ent­schei­dung von vor über drei Jah­ren, die Jamai­ca-Gesprä­che plat­zen zu las­sen, als „nicht schlech­te“ Ent­schei­dung her­aus. So kön­ne die FDP die Coro­na-Poli­tik, aber auch Ver­säum­nis­se bei der Digi­ta­li­sie­rung, kri­ti­sie­ren. Es sei viel­leicht bes­ser, mit sechs oder sie­ben Pro­zent in der Oppo­si­ti­on zu sein als mit der Regie­rungs­ar­beit an der Fünf-Pro­zent-Hür­de zu schei­tern, sag­te Prof. Debus im Rück­blick auf die Erfah­rung aus dem Jahr 2013. In Rhein­land-Pfalz sehe man, dass man in der Regie­rung als klei­ner Part­ner ver­lie­ren kön­ne.

Lin­ke

Die Lin­ke sei auf­grund ihrer his­to­ri­schen Ent­wick­lung eine Ost-Par­tei – abge­se­hen von Schwer­punk­ten in Uni­städ­ten. Im Wes­ten wer­de sie als „radi­kal“ wahr­ge­nom­men. In Baden-Würt­tem­berg gäbe es dar­über hin­aus kein klas­si­sches Indus­trie­ar­bei­ter­mi­lieu.

AfD

In der Kri­sen­zeit sei­en poli­ti­sche Erfah­rung und Ange­bo­te für die Kri­sen­be­wäl­ti­gung gefragt gewe­sen. Hier habe die AfD nicht lie­fern kön­nen. Zusätz­lich sei die Par­tei durch inter­ne Strei­tig­kei­ten belas­tet und das Kern­the­ma, die Migra­ti­ons­po­li­tik, habe kaum eine Rol­le gespielt.

Abschlie­ßend spra­chen wir noch über die Erfol­ge der Klein­par­tei­en (Freie Wäh­ler, Volt, Kli­ma­lis­te). Hier zei­ge sich, so unser Refe­rent, dass es immer weni­ger tra­di­tio­nel­le Par­tei­b­in­dun­gen unter den Wäh­len­den gebe.