Pünktlich erst 2050

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In mei­nem Gast­bei­trag geht es um die lang­jäh­ri­ge Ver­nach­läs­si­gung der Bahn durch die Poli­tik und die Not­wen­dig­keit, gezielt mehr Geld in die Infra­struk­tur zu inves­tie­ren.

23.03.2019

(in leicht modi­fi­zier­ter Form ver­öf­fent­licht als Gast­bei­trag in Die Zeit vom 21.03.2019)

“Schuld an der Bahn-Misere ist die Politik”

Glaubt man dem Koali­ti­ons­ver­trag und den Äuße­run­gen des Ver­kehrs­mi­nis­ters, dann bricht jetzt ein neu­es Zeit­al­ter der Eisen­bahn an, auch wenn der Ver­kehrs­mi­nis­ter den Begriff „Ver­kehrs­wen­de“ tun­lichst ver­mei­det. Mit dem Deutsch­land­takt, einem abge­stimm­ten, ver­tak­te­ten Fahr­plan, sol­len die Fahr­gast­zah­len bis 2030 ver­dop­pelt wer­den. In einem Zukunfts­bünd­nis dis­ku­tie­ren Poli­tik und Ver­bän­de, wie neue Impul­se für den Schie­nen­ver­kehr gesetzt wer­den kön­nen. Die Bahn hat eine gro­ße Zukunft vor sich, könn­te man mei­nen.

War­um aber wird sie so schä­big behan­delt? Über Jah­re wur­den Aus­bau und Erhalt ver­nach­läs­sigt. Neue Zah­len bele­gen, dass sich im bestehen­den Bahn­netz ein Sanie­rungs­stau von 57 Mil­li­ar­den auf­ge­baut hat. Das rächt sich jetzt. Zahl­rei­che Stre­cken und gro­ße Bahn­hö­fe sind chro­nisch über­las­tet und das Netz anfäl­lig für Stö­run­gen. Die im Zusam­men­hang mit den Eck­wer­ten des Bun­des­haus­halts 2020 genann­te eine „Bahn­mil­li­ar­de“ zusätz­lich mil­dert das Defi­zit an Inves­ti­tio­nen im Bestands­netz etwas ab. Aller­dings ändert sich an der chro­ni­schen Unter­fi­nan­zie­rung beim Neu- und Aus­bau gar nichts – die Fer­tig­stel­lung aller Schie­nen­pro­jek­te ver­schiebt sich ohne Kurs­än­de­rung bei der Infra­struk­tur­po­li­tik auf das Jahr 2050!

Mehr Züge für ein attrak­ti­ve­res Ange­bot sind not­wen­dig, ver­schär­fen aber die Situa­ti­on in den Bahn­kno­ten und auf den über­las­te­ten Stre­cken. Wäh­rend Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Andre­as Scheu­er (CSU) von Ver­kehrs­ver­la­ge­rung redet und sich mit der Spit­ze der Deut­schen Bahn zu Gesprä­chen trifft, wer­den die Lkw-Kolon­nen auf den Auto­bah­nen immer län­ger. Die ech­ten Hebel zur Ver­kehrs­ver­la­ge­rung, wie die Schaf­fung fai­rer Wett­be­werbs­be­din­gun­gen unter den Ver­kehrs­trä­gern, wer­den von Scheu­er erst gar nicht ange­packt.

Im Per­so­nen­ver­kehr bleibt die Lage ange­spannt. Nur noch 75 Pro­zent der Fern­zü­ge roll­ten im Jahr 2018 pünkt­lich ins Ziel. Mitt­ler­wei­le hat die Deut­sche Bahn 20 Mil­li­ar­den Euro Schul­den und kaum mehr Geld für den Erwerb drin­gend benö­tig­ter Züge. Digi­ta­li­sie­rung fin­det über­all statt, nur nicht auf der Schie­ne. Die Regie­rung hat den Abschluss der netz­wei­ten Umstel­lung auf digi­ta­le Stell­wer­ke bereits auf 2040 ver­tagt, ohne das Klar­heit besteht, wie die dafür not­wen­di­gen 30 Mil­li­ar­den Euro finan­ziert wer­den sol­len! Die Lösung drän­gen­der ver­kehrs­po­li­ti­scher Pro­ble­me wird ein­fach auf­ge­scho­ben.

Dage­gen ver­langt die Bun­des­re­gie­rung von der Deut­schen Bahn per Ulti­ma­tum Lösun­gen. Eige­ne Ideen und ver­kehrs- und bahn­po­li­ti­sche Zie­le prä­sen­tie­ren unse­re Regie­ren­den aller­dings nicht. Ein Staats­kon­zern soll sich von selbst erneu­ern – das kann nichts wer­den! Eine Ver­kehrs­wen­de braucht zuerst eine Wen­de bei den Inves­ti­tio­nen in die Infra­struk­tur, denn sie sind der zen­tra­le Hebel, um den Ver­kehrs­trä­ger Schie­ne leis­tungs­fä­hi­ger zu machen. Wäh­rend das deut­sche Stra­ßen­netz seit 1992 um 40 Pro­zent aus­ge­baut wur­de, muss­te die Bahn das Schrump­fen ihres Net­zes um 20 Pro­zent hin­neh­men. Eine Trend­wen­de ist nicht in Sicht. Der mit den Stim­men der Koali­ti­ons­frak­tio­nen beschlos­se­ne Haus­halt sieht für den Neu- und Aus­bau der Stra­ße mas­si­ve Mit­tel­er­hö­hun­gen vor, für die Schie­ne sta­gnie­ren die Aus­ga­ben.

Was wir ange­sichts von Kli­ma­kri­se und der Las­ter­flut auf den Auto­bah­nen brau­chen, ist ein ener­gi­sches Umsteu­ern: Die Ein­nah­men aus der Lkw-Maut müs­sen auch dem Neu- und Aus­bau sowie der Sanie­rung von Schie­nen­we­gen und dem Aus­bau der über­las­te­ten Bahn­kno­ten zugu­te­kom­men. Uni­on und SPD wol­len das Geld voll­stän­dig dem Stra­ßen­bau zukom­men las­sen – ein Wahn­sinn, denn Stra­ßen­bau­or­gi­en haben nie Pro­ble­me gelöst. Viel­mehr sind die Treib­haus­gas­emis­sio­nen des Ver­kehrs­sek­tors in ers­ter Linie durch den wach­sen­den Stra­ßen­ver­kehr gestie­gen und die Staus auf den Stra­ßen län­ger gewor­den.

Ziel­füh­ren­der wären fai­re Wett­be­werbs­be­din­gun­gen unter den Ver­kehrs­trä­gern. Wes­halb müs­sen Bahn­un­ter­neh­men für jeden Meter Zug­stre­cke eine Schie­nen­maut ent­rich­ten, wäh­rend Lkw nur für Auto­bah­nen und Bun­des­stra­ßen zah­len müs­sen? Wes­halb ist Flug­ben­zin von der Ener­gie­steu­er befreit? Die Bahn wird künst­lich ver­teu­ert und zudem mit über­bor­den­der Büro­kra­tie in Form von Vor­schrif­ten trak­tiert, wäh­rend der Auto­ver­kehr mit dem Dienst­wa­gen­pri­vi­leg und steu­er­ermä­ßig­tem Die­sel­kraft­stoff sub­ven­tio­niert wird.

Schließ­lich gilt es, den DB-Kon­zern neu zu struk­tu­rie­ren. Mit über 700 Kon­zern­töch­tern und ‑betei­li­gun­gen ist er kaum zu füh­ren. Die Infra­struk­tur gehört in eine bun­des­ei­ge­ne Infra­struk­tur­ge­sell­schaft ohne Gewinn­erzie­lungs­ab­sicht. Unter­neh­men wie Schen­ker, die kei­nen Bei­trag zum Kern­ge­schäft leis­ten, näm­lich einem zuver­läs­si­gen Per­so­nen- und Güter­ver­kehr in Deutsch­land, soll­ten ver­kauft wer­den. Aus dem Erlös kann die DB die drin­gend benö­tig­ten neu­en Züge finan­zie­ren und einen wei­te­ren Anstieg der Ver­schul­dung ver­hin­dern.

Soll der Schie­nen­ver­kehr zum Rück­grat einer Ver­kehrs­wen­de wer­den, dann brau­chen wir zuerst einen bahn­po­li­ti­schen Neu­an­fang. Die Bun­des­re­gie­rung hat außer Schlag­wor­ten bis­her nicht viel gelie­fert. Soll die Ver­kehrs­wen­de zum Erfolg wer­den, müs­sen wir einen mög­lichst brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens über die not­wen­di­gen grund­sätz­li­chen Wei­chen­stel­lun­gen her­stel­len.