Einführung ins Thema, 10. Februar 2014
„Mit Strukturreformen beginnt für alle Beteiligten eine Revolution, ein Umsetzungsprozess, ein Umdenken, das über Jahre hinweg dauern wird.“
Liebe Gäste,
liebe Vertreterinnen und Vertreter von Bahnen und Verbänden,
meine Damen und Herren,
mit diesem Zitat des früheren Bundesverkehrsministers Matthias Wissmann[1] begrüße ich Sie herzlich. Für mich ist dies mein erstes Fachgespräch. Umso mehr freue ich mich über Ihr zahlreiches Interesse und Ihr Kommen.
Mein Name ist Matthias Gastel. Ich bin der neue bahnpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Was ist aus der „Revolution“ von damals geworden?
Wie weit reichte und wie weit reicht das „Umdenken“?
20 Jahre Bahnreform – Aus unserer Sicht muss sie Anlass sein, um kritisch nach der Bilanz zu fragen! Und wir sehen die dringende Notwendigkeit, eine kritische Debatte über die zukünftige Struktur und Ausrichtung der Bahnpolitik zu führen. Denn ich wundere mich sehr über so manche pauschale Einschätzungen, die da lauten „alles prima“. Wer so denkt und spricht muss sich fragen lassen, ob er besser werden will.
Wo ist die Deutsche Bahn vor 20 Jahren gestartet?
Unstrittig war der große Reformbedarf:
- Das System Schiene hatte deutlich an Verkehrsanteilen verloren.
- Zwei Bahnunternehmen – Deutsche Bahn und Deutsche Reichsbahn –mussten zusammen geführt werden.
- Zusätzlich stieg die Belastung des Bundeshaushaltes.
Daraus wurden die drei großen Ziele abgeleitet, die wir schon damals für richtig hielten und zu denen wir auch heute stehen:
Ziele waren:
1. Die öffentlichen Haushalte entlasten,
2. die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen erhöhen (u. a. Modernisierungen, Verlässlichkeit, Kundenorientierung, Wettbewerbsfähigkeit)
und
3. mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen
Was ist daraus geworden?
Zu 1. Die öffentlichen Haushalte entlasten
Inflationsbereinigt sind die Haushaltsmittel des Bundes für die Bahn um rund 40 Prozent zurückgegangen.
Dies könnte also als Erfolg betrachtet werden.
Könnte! Denn:
Der Bund nahm der neuen DB AG vor 20 Jahren die gesamten Schulden ihrer Vorgängerunternehmen – umgerechnet 33 Milliarden Euro – ab.
Die DB AG hat heute wieder 17 Milliarden Euro Schulden. Hätte sie ein Netz in gutem Zustand, wären diese Schulden weniger tragisch. Bahnchef Grube bezifferte den Sanierungsrückstand kürzlich aber auf 30 Milliarden Euro. Das ist nichts anderes als eine versteckte Verschuldung. Der DB-Konzern wird die dringend benötigten Mittel nicht alleine aufbringen können.
Und: Einen Teil der ausgewiesenen Schulden hat die DB für Auslandsgeschäfte gemacht, die noch nicht einmal ihre Kapitalkosten refinanzieren. Beispiel, über das aktuell berichtet wurde: Vor zweieinhalb Jahren hat DB Arriva den gesamten Busverkehr auf Malta übernommen. Seither wurden 50 Millionen Euro an Verlusten angehäuft.
Und heute berichtet das Handelsblatt: Die LKW-Speditionstochter Schenker halbiert binnen eines Jahres ihre Rendite.
Dies sind Zeichen dafür, dass sich die DB wieder stärker auf ihr Kerngeschäft – umweltverträgliche und zuverlässige Mobilitätsangebote auf der Schiene – konzentrieren sollte!
Zu 2. Die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen erhöhen
In welchem Umfang dieses – sehr unterschiedlich ausgelegte – Ziel erreicht wurde lässt sich nicht ganz so einfach bilanzieren.
Ich werde darauf im Zusammenhang mit dem dritten Ziel eingehen.
Zu 3. Mehr Verkehr auf die Schiene bringen
Das System Schiene konnte im Güterbereich mengenmäßig zulegen. Der Anteil des Schienen-Güterverkehr am Modal Split verharrt hingegen auf 17 Prozent. Immerhin ansatzweise funktioniert hier der Wettbewerb, der sich inzwischen knapp 30 Prozent des größer gewordenen Kuchens erkämpft hat.
Der Anteil des Schienen-Personenverkehrs am Modal Split verharrt konstant unter 10 Prozent
Trotz milliardenschwerer Investitionen ins Netz! Trotz neuer Hochgeschwindigkeitstrassen! Knapp 100 Milliarden Euro wurden dafür seit 1994 in die Hände genommen. Und doch ist das durchschnittliche Alter der Schienenanlagen gestiegen.
Man muss beim Personenverkehr aber ganz klar differenzieren zwischen dem Nah- und dem Fernverkehr:
Der Schienen-Nahverkehr wurde an die Länder übertragen.
Der Wettbewerbsanteil liegt hier bei immerhin rund 20 Prozent.
Die Fahrgastzugewinne liegen im Durchschnitt bei 3,3 Prozent pro Jahr.
Hier zeigt sich, dass mit Ausschreibungswettbewerben mehr Angebote fürs gleiche Geld möglich werden. Und qualitative Standards vorgegeben werden können.
Der Nahverkehr ist unumstritten der erfolgreichste Teil der Bahnreform.
Um diese Erfolge im Nahverkehr dauerhaft abzusichern und auszubauen ist eine Anpassung der Regionalisierungsmittel an die Entwicklung der Trassen- und Stationspreise plus Spielräume für Angebotsausbau erforderlich. Und wir brauchen dringend Klarheit über die Nachfolgeregelung des auslaufenden Gemeindefinanzierungsgesetz (GVFG). Die Länder und Kommunen können die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur nicht ohne die Hilfe des Bundes finanzieren.
Im Fernverkehr muss man – anders als im Nahverkehr – den Wettbewerb suchen. Die DB AG ist mit 98 Prozent Marktanteil der Monopolist geblieben.
Was sind die Gründe dafür, dass im Personen-Fernverkehr keine neuen Fahrgäste gewonnen werden konnten?
Was sind die Gründe dafür, dass der Marktanteil im Güterverkehr stagniert?
1. Infrastruktur
Milliarden wurden investiert. Aber leider nicht immer dort, wo sie überhaupt oder noch besser den größtmöglichen Nutzen bringen.
Investiert wurde in Abschnitte von Hochgeschwindigkeitsstrecken. Reisezeitgewinne auf Streckenabschnitten gehen aber häufig durch ungünstige Umsteigebedingungen oder fehlende Anschlüsse wieder verloren.
Außerdem wurden Weichen und Überholspuren abgebaut und viel zu wenig in die vorhandene Substanz investiert. Engpässe und Langsamfahrstrecken sind die Folge. Die Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit leiden darunter massiv. Fahrgäste sind verärgert. Für Wachstum im Güterbereich fehlen die Kapazitäten.
Und diese verhängnisvollen Fehlinvestitionen gehen weiter: Als Beispiele seien Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm genannt. Hierfür ist allerdings in erster Linie die Politik mit ihrer falschen Form der Einflussnahme verantwortlich. Ein Teil von Stuttgart 21 liegt übrigens in meinem Wahlkreis. Nämlich der Abschnitt 1.3 auf den Fildern, für den sich die DB seit über zehn Jahren um das Baurecht bemüht. Ihre Planungen fußen auf einer befristeten Ausnahmegenehmigung, erteilt durch den damaligen Bundesverkehrsminister.
Allzu häufig ist noch veraltetes Wagenmaterial unterwegs. Die Kunden erwarten Komfort. Dazu gehören Angebote an Speisen und Getränken, Sitzplätze mit guten Bedingungen fürs Arbeiten während der Reise inklusive Internetanschlüssen.
2. Gravierende Fehler in der Personalpolitik
Die Strategie, die DB an die Börse bringen zu wollen, hat nicht nur zu unterlassenen Instandhaltungsaufwendungen gesorgt. Auch beim Personalabbau wurde in einigen Bereichen übertrieben. Die Stellwerksprobleme in Mainz zeigen, dass ein modernes Bahnunternehmen ausreichend gut qualifiziertes und motiviertes Personal benötigt. Die DB ist dabei, dieses Defizit zu beheben. An dieser Stelle ist mir wichtig zu betonen, dass die Deutsche Bahn hervorragendes Personal beschäftigt, das oftmals zu Unrecht für Fehler der Konzernführung oder der Politik den Kopf hinhalten muss.
3. Marktzutrittsbarrieren
Dass das Bundeskartellamt aktiv wird zeigt am Beispiel des Vertriebs, mit welchen Mitteln die DB mögliche Wettbewerber fernhalten möchte.
Den Verkehrsunternehmen der DB muss der wettbewerbliche Vorteil genommen werden, den diese durch die Konzernzugehörigkeit besitzen. Denn die Erfahrungen zeigen: Die DB nutzt jedes Regulierungs-Schlupfloch, um sich Vorteile zu verschaffen.
Was ist zu tun?
Ein Wettbewerbshindernis liegt auf der Hand: Die gesamte Infrastruktur (Netz, Stationen, Stromleitungen) befindet sich im Eigentum des Unternehmens, das zugleich als Nutzer eben dieser Infrastruktur zu anderen Verkehrsunternehmen in Konkurrenz steht. Einiges spricht daher für eine saubere Trennung von Netz und Betrieb.
Kurzfristig setzen wir auf eine Regulierung. Den DB-Unternehmen müssen so weit wie möglich die wettbewerblichen Vorteile genommen werden, die sie durch die Konzernzugehörigkeit besitzen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie schnellstens ein Eisenbahnregulierungsgesetz ins parlamentarische Verfahren einbringt. Die Politik sollte das Handeln nicht der Kartellbehörde und den Gerichten überlassen.
Darüber hinaus gilt es, den intermodalen Wettbewerb fair zu gestalten:
- Wir brauchen die Ausweitung der LKW-Maut, um den Schwerlastverkehr verursachergerecht an den Infrastrukturkosten zu beteiligen.
- Gleiches gilt für die Fernbusse
- Der Luftverkehr muss steuerlich der Schiene gleichgestellt werden[2]. Der unsinnige Subventionswettlauf bei den Regionalflughäfen muss beendet werden. Dass der innerdeutsche Luftverkehr seit 1994 um 70 Prozent gewachsen ist spricht Bände!
Darüber hinaus muss die Politik aber die Weichen in der Verkehrspolitik insgesamt richtig stellen: Den Straßenneubau zurück fahren, Priorität für die Schiene. Mit Spannung blicken wir daher auf die anstehende Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans.
Liebe Gäste,
wir Grünen sind die Bahnpartei.
Leider müssen wir sehen, dass die letzten Bundesregierungen nicht in ausreichendem Maße Verantwortung für die Bahn übernommen und sich wirklich für einen höheren Marktanteil der Schiene eingesetzt haben.
Wir wollen den Modal Split zugunsten des Systems Schiene verändern. Dazu ist es notwendig, künftig mehr auf eine attraktive und verlässliche Reisezeit statt auf teure Beschleunigungen von Streckenabschnitten sowie auf den Reisekomfort zu setzen. Stichwort „Deutschlandtakt“. Und auch in Sachen Barrierefreiheit gibt es noch viel zu tun. Investitionen sind konsequent auf diese Aspekte auszurichten.
Wir sind überzeugt davon, dass die Energiewende nur gemeinsam mit einer Verkehrswende gelingen kann. Wir wollen eine ressourcenschonende, klimaverträgliche und bezahlbare Mobilität.
Die Bahnreform und die seitherigen Entwicklungen sind daher kritisch zu analysieren. Die Weichen sind zugunsten des Systems Schiene und des gesamten Umweltverbundes richtig zu stellen.
Mit unserem heutigen Fachgespräch wollen wir dazu beitragen.
Ich wünsche uns allen spannende und erkenntnisreiche Diskussionen und auch darüber hinaus einen konstruktiven Dialog.