IRE 200 weckt Wünsche nach dauerhaftem Angebot
Seit wenigen Monaten fährt ein schneller Regionalzug über die Neubaustrecke von Wendlingen über Merklingen nach Ulm. Schon haben sich viele Menschen an dieses Angebot gewöhnt und würden es gerne dauerhaft etabliert sehen. Doch wäre das überhaupt möglich? Mein Fachbüro hat sich das näher angeschaut.
Das, was derzeit mit dem IRE 200 angeboten wird, stellt eine Übergangslösung dar. Der Hintergrund: Die Neubaustrecke (NBS) Wendlingen – Ulm mit Regionalhalt in Merklingen wurde zum Fahrplanwechsel im Dezember 2022 fertiggestellt. Jedoch fehlt die Strecke vom zukünftigen Tiefbahnhof an Flughafen und Autobahn A 8 vorbei bis Wendlingen. Im Dezember 2025 soll Stuttgart 21 in Betrieb gehen und der Regionalzug soll dann von Stuttgart kommend am Flughafen halten, um dann – vorbei an Wendlingen – nach Merklingen und Ulm zu fahren. Um Merklingen bereits jetzt im Regionalverkehr anzubinden, wurde die Linie IRE 200 von Wendlingen nach Ulm geschaffen. Die Züge fädeln, wie derzeit auch noch die Fernverkehrszüge, über die eingleisige Güterzugkurve[1] in die nördliche Röhre des Albvorlandtunnels ein. Genau hier beginnt das Problem: Die Strecke ist auf dieser Relation auf über acht Kilometer nur auf einem Gleis befahrbar, da es im Tunnel keine Überleitstelle gibt. Eine solche war zunächst mal vorgesehen, wurde dann aber gestrichen, da die Brandschutzauflagen eine Verbindung zwischen den beiden Röhren sehr aufwändig gemacht hätten.
So kommt mein Fachbüro nach einer Prüfung zu folgendem Urteil: Knackpunkt für eine Linie aus Richtung Plochingen/Wendlingen gen Ulm ist vor allem die Einfädelung in die NBS bei Wendlingen, da man ja in Fahrtrichtung Ulm dann erstmal durch den Albvorlandtunnel im Gegengleis fahren muss. Fädelt ein Zug in Richtung Ulm ein, muss also nicht nur Richtung Ulm ausreichend freier Platz auf der Strecke sein, sondern auch in der Gegenrichtung wird eine ausreichend große Zuglücke benötigt, um durch den Tunnel im Gegengleis befahren zu können. Bei fünf Zügen pro Stunde im Zielfahrplan des dritten Entwurfs des Deutschlandtakt ist da kaum Luft, noch einen Zug einzufädeln, zumal auch etwas Verspätung der anderen Züge berücksichtigt werden sollte, damit nicht gleich bei der kleinsten Verspätung alles durcheinander gerät.
Alles in allem ist die Angelegenheit also recht komplex und eng. Sobald ein Zug Verspätung einschleppt dürfte es ein Durcheinander geben. Unmöglich wäre zumindest eine Linie aus Richtung Wendlingen/Plochingen aber nicht. Ein stabiles, halbwegs verlässliches Angebot wäre jedoch leider nicht zu erwarten. Aus fachlicher Sicht und im Interesse stabiler Fahrpläne sollte auf ein solches zusätzliches Angebot verzichtet werden. Wäre nicht vor Jahren per Planfeststellungsänderungsverfahren auf die Überleitstelle zwischen den beiden Tunnelröhren verzichtet worden, würde ein wesentliches Argument gegen die zusätzliche Linie entfallen und die Empfehlung könnte womöglich anders aussehen.
Genauere Betrachtung
Mein Fachbüro hat sich denkbare Fahrplanlagen eines Regionalzugs von Plochingen/Wendlingen nach Ulm genauer angeschaut: Es zeigt sich, dass man in Wendlingen nur rund um die volle Stunde eine halbwegs ausreichende zeitliche Lücke hat, um eine Nahverkehrslinie aus Richtung Plochingen gen Ulm einzufädeln. Dieser Nahverkehr würde dann direkt gebündelt mit der ohnehin bereits vorgesehenen Nahverkehrslinie von Stuttgart auf der NBS Wendlingen – Ulm verkehren und damit für Merklingen zwar zwei Fahrten pro Stunde und Richtung ermöglichen. Diese lägen aber unmittelbar hintereinander. Zudem würde es sich um ein zeitlich recht knappes Unterfangen handeln, das nur ohne größere Verspätungen gelingen könnte. Denn der Gegenzug aus Ulm müsste entweder direkt im Block hinter dem ohnehin vorgesehen Nahverkehr aus Friedrichshafen auf die NBS, damit man die Lücke in Wendlingen möglichst früh nutzen kann. Möglichst früh in Wendlingen zu sein ist wiederum notwendig, damit der Gegenzug möglichst früh rund um die volle Stunde in Wendlingen mit dem Zug aus Ulm kreuzen und dann in das Gegengleis auf der NBS fahren kann, wenn der nächste Fernverkehr nach Stuttgart noch möglichst weit weg ist. In Wendlingen würden sich die zwei Züge dann begegnen und müssten weiter nach Plochingen fahren, da in Wendlingen nur drei Bahnsteigkanten zur Verfügung stehen und dort nicht überschlagend gewendet werden kann (aufgrund der engen Zeitlücke auf der NBS kann man das nur kaum so hindrehen, dass die Wendezeit für einen Zug ausreichen würde). Alternativ wäre in Richtung Wendlingen auch eine spätere Abfahrt in Ulm etwa zur Minute 10 möglich, dann würde man dem Gegenzug vor Merklingen begegnen und hätte bis Wendlingen freie Bahn. Allerdings müsste man dann aufpassen, dass man in Wendlingen nicht mit dem MEX aus Tübingen und der S‑Bahn in die Quere kommt.
[1] Nicht mit der „Wendlinger Kurve“ zu verwechseln