Problem Notfallkonzept S‑Bahn wird verdrängt
Es sind ehrgeizige Ziele, die im Bahnwesen verfolgt werden: Es soll mit dem Deutschlandtakt ein integraler Fahrplan umgesetzt und Fahrgastzahlen sollen verdoppelt werden. Da gerät der neue Bahnknoten Stuttgart schnell an seine Grenzen.
Auf Grundlage der Antworten der Bundesregierung auf zwei parlamentarische Anfragen geht in diesem Beitrag um drei Aspekte: Das noch immer fehlende Notfallkonzept für die S‑Bahn, die Doppelbelegungen im neuen Tiefbahnhof und um die Abstellkapazitäten für Züge.
Störfallkonzept S‑Bahn
Störungen bei einer hochbetagteren Infrastruktur wie im Stuttgarter S‑Bahn-Tunnel treten regelmäßig auf. Die dafür entwickelten Ersatzkonzepte werden fast jede Woche benötigt und sind auf alternative Strecken angewiesen, beispielsweise die sogenannte „Panorama-Bahn“ zwischen Stuttgart-Hauptbahnhof und Stuttgart-Vaihingen. Eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion zeigt, dass es für den im Dezember 2025 in Betrieb gehenden neuen Tiefbahnhof noch immer kein ausgearbeitetes Ersatzkonzept gibt (mahnen wir seit Jahren immer wieder an!). Es braucht umgehend eine Untersuchung zu einem Ersatzkonzept bei Störungen der S‑Bahn. Bundesregierung und Deutsche Bahn verweisen immer wieder darauf, dass man zum Notfallkonzept noch nichts Genaueres sagen könne, da „der Inbetriebnahmefahrplan für Stuttgart 21 noch nicht final zwischen allen Beteiligten abgestimmt“ sei. 15 Fragen unsererseits wurden von der Bundesregierung in einer dürften Antwort zusammen gefasst. Fakt ist jedoch: Auf fehlender oder unzureichender Infrastruktur lässt sich kein vernünftiger Ersatzfahrplan für Störfälle entwickeln. Die Pendlerinnen in der Region sind auf ein zuverlässiges Nahverkehrssystem angewiesen. Eine Möglichkeit wäre, die Panorama Bahn weiterhin in Betrieb zu lassen, um neue Regionalverkehrszüge zu ermöglichen und der S‑Bahn eine passende Ausweichmöglichkeit bei Störungen zu bieten. Die Bundesregierung und die Deutsche Bahn halten jedoch daran fest, dass diese bei Betriebsbeginn des Stuttgarter Tiefbahnhofs an die Stadt Stuttgart abgegeben werden soll. Damit soll eine wichtige Ausweichstrecke für die S‑Bahn nicht mehr zu Verfügung stehen. Die Führung durch den neuen Stuttgarter Tiefbahnhof bei Sperrung der Stammstrecke wird bei der ohnehin hoch ausgelasteten Situation nur bedingt möglich sein. Ein Wenden – wie im Stuttgart Hauptbahnhof üblich – ist aufgrund von betrieblichen Gegebenheiten im Regelbetrieb nicht möglich. Meine Meinung: „Wir dürfen Infrastruktur nicht nur auf den Idealbetrieb auslegen. Es braucht bereits bei der Infrastrukturplanung resiliente Konzepte, beispielsweise für Verspätungen oder Sperrungen. Nur so kann ein qualitativ hochwertiger Zugverkehr gewährleistet werden.“
Doppelbelegungen
Die Anzahl der Doppelbelegungen für einen neu konzipierten Bahnhof ist bemerkenswert hoch. Allein in der Nebenverkehrszeit gibt es über einen zweistündigen Zeitraum 12 Doppelbelegungen, in der Hauptverkehrszeit sogar 14. Insgesamt sind so für einen einzelnen Tag über hundert Doppelbelegungen zu erwarten. Mehr Doppelbelegungen als in Stuttgart vorgesehen gibt es derzeit nur in Hannover. Im noch ziemlich neuen Berliner Hauptbahnhof sind es nur 16 und selbst in Köln, wo es bekanntlich extrem „eng“ zugeht und eine Erweiterung um zwei zusätzliche Bahnsteiggleise vorgesehen ist, sind es „nur“ 44.[1] Besonders problematisch an Stuttgart wird sein, dass bei den Doppelbelegungen keine wendenden Züge in entgegengesetzte Fahrtrichtungen vorgesehen sind, sondern die Weiterfahrt immer in die gleiche Richtung erfolgen soll. Damit ist der hintere immer vom vorderen Zug abhängig. Doppelbelegungen sind betrieblich instabil und können Verspätungen leicht übertragen und gefährden somit einen attraktiven und guten Zugverkehr. Konkret: Wenn der vordere Zug nicht abfahren kann, sei es, weil er noch auf Fahrgäste eines anderen Zuges warten muss oder eine Störung vorliegt, kann auch der hintere nicht abfahren. Die Verlässlichkeit und die betriebliche Flexibilität werden eingeschränkt – und das in einem neuen Bahnhof! Weitere Probleme: Die Einfahrgeschwindigkeit auf einem Bahnsteiggleis verringert sich von 80 bis 100 Stundenkilometer auf nur noch 20 Stundenkilometer, wenn das Gleis teilbesetzt ist. Damit geht Zeit verloren. Die Bundesregierung lehnt Überlegungen zu einer Ergänzungsstation bedauerlicherweise weiterhin ab. Dabei sind die Umsteigezeiten bereits jetzt nicht auf allen Relationen einem Deutschlandtakt angemessen. Die Bundesregierung geht hier von einem falschen Ansatz aus. Sie hat den Deutschlandtakt der Infrastruktur angepasst und nicht – wie es das Gebot des Deutschlandtakts Fahrplan zuerst, dann die Infrastruktur – erfordert. Wenn das Konzept eines integralen Taktfahrplans auch für Stuttgart gelten soll, kann der Stuttgart Tiefbahnhof zu bestimmten Zeiten nicht alle Linien aufnehmen. Hier braucht es dringend eine Ergänzungsstation für einen starken und zuverlässigen Stuttgarter Eisenbahnknoten.
Neuer Bahnknoten – zu wenig Abstellkapazitäten
Der Bahnhof in Untertürkheim ist vollständig ausgelastet. Die sechs Gleise sind so ausgelastet, dass drei Linien bis nach Nürtingen (Fahrzeit circa 16 Minuten) fahren müssen, um dort auf ihren nächsten Einsatz zu warten. Es wird deutlich, dass die aktuellen Infrastrukturvorhaben im Raum Stuttgart für die Anforderungen des Eisenbahnverkehrs nicht ausreichen. Abstellungen in Nürtingen sind dafür ein eindrucksvoller Beleg.
Fazit
Mit Stuttgart 21 werden absehbare Engpässe geschaffen. Diese sind offensichtlich und werden teilweise mit Inbetriebnahme, teilweise erst nach dem Jahr 2030 und den voraussichtlichen weiteren Ausweitungen der Bahnangebote ersichtlich werden. Es muss dringend gehandelt werden. Der Bahnknoten benötigt insbesondere die Ergänzungsstation am Hauptbahnhof und die Aufrechterhaltung der Anbindung über die „Panoramabahn“.
[1] Quelle: BT-Drs. 19/25070