Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias Gastel, Beate Müller-Gemmeke, Markus Tressel, Corinna Rüffer, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms, Harald Ebner, Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), Tabea Rösner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Situation im innerdeutschen Fernbusverkehr
Anfang 2013 trat die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zur Liberalisierung des Fernbusverkehrs in Kraft, nachdem Fachpolitiker der Bundestagsfraktionen aus Union, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen nach jahrelangem Stillstand einen tragfähigen Kompromiss erarbeiten konnten. Damit entfiel das Fernreisemonopol für den Schienenverkehr. Ziel der Gesetzesänderung war es, den Verbrauchern zu ermöglichen, auch längere Distanzen kostengünstig und umweltfreundlich mit dem Bus zurückzulegen. Seitdem hat der Fernbusverkehr eine dynamische Entwicklung genommen. Laut einer Studie des Berliner IGES-Instituts im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) hat die Zahl der innerdeutschen Fernbusfahrten, die durchschnittlich pro Woche angeboten werden, seit Beginn der Liberalisierung um 230 Prozent zugenommen (Tagesspiegel, 16.12.2013). Die am 05.02.2014 veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts, die lediglich von einer Fahrgastzunahme von 19,2 Prozent auf drei Millionen Fahrgäste im Jahr 2013 ausgehen, sind hingegen verzerrt, da sie die Zahlen der neu gegründeten Unternehmen noch nicht berücksichtigen. Allein der Marktführer MeinFernbus.de, der einen Marktanteil von rund 40 Prozent hat, konnte 2013 rund 3 Mio. Fahrgäste begrüßen. Langfristig wird erwartet, dass bis zu 10 Prozent aller Reisenden den Fernlinienbus nutzen werden (IGES Studie 2013). Auf einzelnen nachfragestarken Strecken rechnet das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sogar mit bis zu 25 Prozent (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/fernbusse-in-deutschland-die-asphalt-pioniere,10808230,23645122.html).
Angesichts der erfolgreichen Entwicklung im Fernlinienbusverkehr sind einige wichtige Fragen noch ungeklärt. Dazu gehören insbesondere die Zuständigkeit für eine angemessene Infrastruktur und deren künftige Finanzierung sowie die Gewährleistung der Verkehrssicherheit.
In vielen der angefahrenen Städte fehlen moderne Busbahnhöfe und einige der vorhandenen Terminals, wie z.B. in Köln und Frankfurt/Main, stoßen angesichts der Angebotsausweitung bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. Andere, wie beispielsweise der Zentrale Omnibus Bahnhof (ZOB) in Berlin, sind veraltet. Zahlreiche Haltestellen sind zu klein und verfügen nicht über grundlegende Serviceeinrichtungen wie z.B. Sitzgelegenheiten mit Wetterschutz und Toiletten. Zudem sind viele Haltepunkte des Fernbusverkehrs nicht optimal an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen und können nicht barrierefrei genutzt werden.
Um die Verkehrssicherheit für die Reisenden und die Fahrerinnen und Fahrer zu gewährleisten, sind der Zustand der Fahrzeuge, die sicherheitstechnische Unterweisung der Fahrgäste sowie die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten durch das Fahrpersonal von besonderer Bedeutung. Laut einem Bericht der Hannoverschen Zeitung vom 19. Januar 2014 wurden bei einer groß angelegten Kontrolle des Zentralen Verkehrsdienstes am ZOB Hannover umfangreiche Verstöße festgestellt, die fast alle auf den neuen innerdeutschen Fernverkehr entfielen.
Wir fragen die Bundesregierung:
A Marktentwicklung/Evaluation
Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung am innerdeutschen Fernbusmarkt ein Jahr nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung zur Deregulierung des Fernbusverkehrs?
- Welche Studien- und Evaluationsergebnisse zur Entwicklung am innerdeutschen Fernbusmarkt liegen der Bundesregierung bereits vor bzw. welche sind ihr bekannt?
- Sind der Bundesregierung erste Statistiken zur Zunahme des Marktanteils, zur Zahl der angebotenen Linien und Fahrten sowie zu den Fahrgastzahlen im Fernbusverkehr für das Jahr 2013 bekannt, die auch die neuen Anbieter am Fernbusmarkt berücksichtigen? Falls ja, zu welchen Ergebnissen kommen diese? Falls nein, wann rechnet die Bundesregierung mit belastbaren Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes oder anderer Institutionen?
- Sind der Bundesregierung Untersuchungsergebnisse zur Netzabdeckung des Fernlinienbusverkehrs bekannt und falls ja, welche Schlüsse lassen diese beim jetzigen Erkenntnisstand zu?
- Wie viele Genehmigungen im Fernlinienbusverkehr wurden seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum Fernlinienbusverkehr erteilt und wie viele sind momentan noch anhängig?
- Welche strukturschwachen Regionen im ländlichen Bereich profitieren nach Kenntnis der Bundesregierung von den neuen Fernbushalten und Direktverbindungen?
- Welche Regionen, die von den neuen Fernbushalten und Direktverbindungen profitieren, sind nach Kenntnis der Bundesregierung von Fahrgastrückgängen im Schienenverkehr betroffen?
- Welche touristischen Destinationen profitieren nach Kenntnis der Bundesregierung von den neuen Fernbushalten und Direktverbindungen?
- Welche Erkenntnisse über die soziale Zusammensetzung der Nutzergruppen (z. B. Alters- und Berufsgruppen, Alleinreisende, Klein- und Großgruppen, Familien) des Fernlinienbusverkehrs liegen der Bundesregierung vor?
- Für welche Zwecke (z. B. Geschäftsreisen, Pendeln im Berufsverkehr, Urlaubs- oder Wochenendfahrten) haben die Reisenden den Fernlinienbusverkehr nach Kenntnis der Bundesregierung genutzt?
B Bereitstellung und Finanzierung der Infrastruktur
In welchem Umfang sind nach Ansicht der Bundesregierung die Betreiber des Fernlinienbusverkehrs für den Bau, Betrieb und Erhalt einer verkehrssicheren und kundenfreundlichen Infrastruktur für den Fernlinienbusverkehr verantwortlich?
- In welchem Umfang sind nach Ansicht der Bundesregierung die Kommunen bzw. die Bundesländer für den Aus- und Neubau von Fernbusbahnhöfen und Haltestellen sowie deren Betrieb und Erhalt zuständig und welche Mittel sollten dafür eingesetzt werden?
- Inwieweit plant die Bundesregierung die Bereitstellung von Bundesmitteln, um den Neu- und Ausbau der Fernbusinfrastruktur zu unterstützen?
- Wer betreibt nach Kenntnis der Bundesregierung die 53 vorhandenen Busbahnhöfe, die gemäß EU-Verordnung Nummer 18/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr über Abfertigungsschalter, Warteräume und Fahrscheinschalter verfügen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14446) und welche Finanzierungsmodelle kommen dabei zu Anwendung?
- Welche der vorhandenen Busbahnhöfe und welche weiteren Fernbushaltestellen in Deutschland verfügen nach Informationen der Bundesregierung über eine leistungsfähige ÖPNV-Anbindung und ausreichend Parkflächen für die An- und Abfahrt der Reisenden zum Fernlinienbusverkehr?
- In welchen der vorhandenen Busbahnhöfe und welchen weiteren Fernbushaltstellen in Deutschland werden nach Kenntnis der Bundesregierung den Reisenden Fahrgastinformationen, sanitäre Anlagen und Möglichkeiten zum Lebensmittelkauf zur Verfügung gestellt?
- Wie schätzt die Bundesregierung die Potentiale des Fernbusverkehrs hinsichtlich seiner touristischen Nutzbarkeit ein?
- Welche Kommunen oder Landkreise sind der Bundesregierung bekannt, die bereits Fernbushaltestellen zur besseren Erreichbarkeit bestimmter touristischer Destinationen geschaffen haben?
- Welche Aktivitäten unternimmt die Bundesregierung derzeit, um eine touristische Nutzbarkeit der Fernbuslinien deutschlandweit zu koordinieren?
C Verkehrssicherheit
Welche Minimalstandards für die Ausstattung von Haltestellen und Busbahnhöfen des Fernlinienbusverkehrs hält die Bundesregierung für erforderlich?
- Welche Rahmenbedingungen sind aus Sicht der Bundesregierung erforderlich, um die Verkehrssicherheit der Reisenden insbesondere an stark frequentierten Busbahnhöfen und Haltestellen des Fernbusverkehrs sicherzustellen? Welche Rahmenbedingungen sind aus Sicht der Bundesregierung insbesondere erforderlich, um Fahrgäste und Fahrpersonal beim fahrbahnseitigen Ein- und Ausladen zu schützen?
- In welcher Form wird die Bundesregierung in den nächsten Jahren Zwischenergebnisse zur Einhaltung der Arbeits- und Sozialbedingungen vorstellen, bevor sie gemäß Personenbeförderungsgesetz (PBefG) im Jahr 2017 in einem ersten Bericht zu den Auswirkungen der Liberalisierung am Fernbusmarkt Stellung nimmt?
- Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Verbandes der Busunternehmer (BDO) nach einer Flexibilisierung der Vorschriften bei den Lenk- und Ruhezeiten im Fernlinienbusverkehr?
- Wie viele Fahrerinnen und Fahrer stehen nach Informationen der Bundesregierung im innerdeutschen Fernlinienbusverkehr unter Vertrag?
- Wie gewährleisten die Busunternehmen die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten und sind der Bundesregierung Verstöße dagegen bekannt und wenn ja, in welchem Umfang?
- Wie häufig wurden im Jahr 2013 Kontrollen der digitalen Kontrollgeräte (Fahrtenschreiber) und der Fahrerkarte durch das Bundesamt für Güterverkehr durchgeführt und wie oft kam es dabei zu Beanstandungen? Worin lagen diese Beanstandungen?
- Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ob und in welchem Umfang die Fahrerinnen und Fahrer im Fernlinienbusverkehr an speziellen Fahrsicherheitstrainings teilnehmen?
- Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf bei den sozialen Standards für die Fahrerinnen und Fahrer und/oder die Sicherheit der Fahrgäste?
- Mit welchen Rückhaltesystemen müssen die Fernlinienbusse ausgestattet sein?
- Kommen die Fahrerinnen und Fahrer nach Kenntnis der Bundesregierung ihrer Informationspflicht über die Anschnallpflicht ausreichend nach und wie wird dies kontrolliert?
- In welcher Form wird nach Kenntnis der Bundesregierung überprüft, ob die in Deutschland verkehrenden Fernlinienbusse über geeignete Informationssysteme verfügen, die den Fahrgästen anzeigen, wann Sicherheitsgurte anzulegen sind?
D Wettbewerbseffekte
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Fahrgastentwicklung auf Hochgeschwindigkeitsstrecken der DB AG, auf Strecken des IC-Verkehrs und des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV), die parallel von Fernbuslinien bedient werden?
- Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des DB-Vorstandes Personenverkehr Ulrich Homburg, dass auf einigen Nebenstrecken der DB AG deutliche Kannibalisierungseffekte zu erwarten seien (Spiegel Online, 21.6.2013?
- Befürchtet die Bundesregierung, dass die Deutsche Bahn AG (DB AG) auf Strecken, die mit Bus-Linien des DB-Konzerns (BEX, IC-Bus-Verkehr) bedient werden bzw. künftig bedient werden sollen, ihr Fernverkehrsangebot auf der Schiene ausdünnt? Falls nicht, was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen?
- Ist der Bundesregierung bekannt, ob die DB AG auf Streckenabschnitten, die besonders von der Konkurrenz durch den Fernlinienbusverkehr betroffen sind, ihr Kontingent an Sparpreisangeboten ausgeweitet hat?
- Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr der Quersubventionierung im Segment des Fernlinienbusverkehrs durch die DB AG, die sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindet?
- Hält die Bundesregierung die bestehenden Vorgaben für ausreichend, um eine faire Vergabe der Haltestellenslots zu gewährleisten? Falls nein, welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Wettbewerbsverzerrungen beim Zugang zur Infrastruktur zu gewährleisten?
E Wegekosten
Wie bewertet die Bundesregierung die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2009 „Wegekosten und Wegekostendeckung des Straßen- und Schienenverkehrs in Deutschland im Jahre 2007“, die zu dem Schluss kommt, der deutsche Fern- und Reisebusverkehr decke vollumfänglich seine Wegekosten?
- Plant die Bundesregierung eine Maut für Omnibusse im Fernlinienbusverkehr mit einer Kompensation für im Inland zugelassene Omnibusse analog zu den Pkw-Maut-Plänen? Falls nein, wieso sollen Omnibusse mautfrei bleiben, wenn alle anderen landgebundenen Formen der Personenbeförderung zur Nutzerfinanzierung beitragen sollen?
F Barrierefreiheit
Welche der vorhandenen Busbahnhöfe und welche weiteren Fernbushaltestellen in Deutschland sind nach Kenntnis der Bundesregierung barrierefrei zu nutzen?
- Welche technischen Standards für die Barrierefreiheit im Fernbusverkehr (Busse und
Terminals) wurden bereits entwickelt, und welche werden sich künftig aus Sicht der Bundesregierung durchsetzen? Plant die Bundesregierung, entsprechende Forschungsprojekte zu initiieren oder zu fördern? - Wie erfolgt die Beteiligung der Behindertenverbände und deren Fachexperten in den jeweiligen Planungsstufen, um mittelfristig die vollständige Barrierefreiheit im Fernbusverkehr zu erreichen?
- Welche Betreiber bieten bereits jetzt fahrplanmäßig den Einsatz barrierefreier Busse an, und bei welchen ist der Einsatz barrierefreier Busse auf konkreten Fahrten nach Voranmeldung möglich? Bieten die entsprechenden Anbieter letzteres für alle von ihnen betriebenen Linien an?
- Ist die unentgeltliche Mitnahme einer Begleitperson für Menschen mit entsprechendem Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis auf allen Fernbuslinien möglich, oder wurden Ausnahmen genehmigt?
Berlin, den 11.02.2014
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion