Gespräch mit dem WBO
Immer wieder wird die Frage nach der Organisation und den Verantwortlichkeiten für den Busverkehr gestellt. Der Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmer e.V. (WBO) erklärt auf meine Fragen, wie das mit den Ausschreibungen und der eigenwirtschaftlichen Leistungserbringung funktioniert. Außerdem geht es um Fragen der (Un)Zuverlässigkeit, die Tarifbindung in der Branche und die Bezahlung des Fahrpersonals. Dem Interview schließen sich einige spezifische Informationen rund um die Organisation des Busverkehrs auf den westlichen Fildern an.
Frage: Die Ausschreibungen von Busleistungen im öffentlichen Nahverkehr sind ziemlich kompliziert. Können Sie kurz und verständlich erklären, wie die Landkreise als Aufgabenträger auf Grundlage von EU-Recht vorgehen müssen?
Antwort WBO: Die Aufgabenträger müssen im Falle einer EU-weiten Ausschreibung ins offene Verfahren. Frühestens 27 Monate vor der Betriebsaufnahme, aber mindestens ein Jahr vor Beginn des eigentlichen Ausschreibungsverfahrens, muss eine Vorabbekanntmachung im Amtsblatt der EU erfolgen. Zeitgleich sind etwaige Standards und Anforderungen zu veröffentlichen, an die ein eigenwirtschaftlicher Antrag (der binnen drei Monaten nach der Veröffentlichung gestellt werden kann) gebunden ist. Nach Ablauf der einjährigen Wartefrist wird das eigentliche Ausschreibungsverfahren in Gang gesetzt. Auch diese Auftragsbekanntmachung wird im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Angebote, die den Ausschreibungs-unterlagen inhaltlich nicht entsprechen oder unwirtschaftlich sind, werden ausgeschlossen. Wird innerhalb der 3‑Monats-Frist ein eigenwirtschaftlicher Antrag gestellt und ist dieser erfolgreich (sprich: wird dem antragstellenden Unternehmen die Genehmigung erteilt), findet kein Ausschreibungsverfahren statt. Das Verfahren ist dann abgeschlossen, bevor es eigentlich losgegangen ist. Zu einer EU-weiten Ausschreibung sind Aufgabenträger nach europäischem und deutschem Recht nicht verpflichtet (ein weitverbreitetes Fehlverständnis). Sie können diesen Weg wählen, müssen das aber nicht. Aufgabenträger lassen die Verfahren von Verkehrsberatern und spezialisierten Kanzleien abwickeln („begleiten“). Dieser finanzielle Aufwand bleibt gemeinhin außer Betracht. Bei Direktvergaben oder bei der Finanzierung des ÖPNV über allgemeine Vorschriften nach der VO 1370 reduziert sich der administrative Aufwand im Vergleich dazu auf ein Minimum. Verkehre mit einem Jahresdurchschnittswert von weniger als einer Million Euro oder einem jährlichen Umfang von weniger als 300.000 Kilometern können direkt vergeben werden (ohne Ausschreibung). Wenn die Verkehre an Unternehmen vergeben werden, die nicht mehr als 23 Fahrzeuge betreiben, gilt ein Schwellenwert von unter zwei Millionen Euro oder unter 600.000 Kilometern. Das würde auf mittelständische Busunternehmen von der Größenordnung in aller Regel passen (deshalb ist diese Regelung auch im europäischen Recht enthalten). Leider machen die wenigsten Aufgabenträger davon Gebrauch, weil sie nämlich auf „bessere“ Preise im Wettbewerb spekulieren. Das führt dann dazu, dass die bisherigen Unternehmen von ihrem angestammten Verkehrsgebiet verdrängt werden und andere Unternehmen mit „frischem“ Personal den Verkehr übernehmen. Über allgemeine Vorschriften können Ausgleichsleistungen an Betreiber für die Belastung mit öffentlich festgesetzten „Höchsttarifen“ geleistet werden (damit sind die Verbundtarife gemeint, an die die Unternehmen gebunden sind, die aber nicht die Kosten decken). Allgemeine Vorschriften gelten für alle Unternehmen in einem Verkehrsgebiet gleichermaßen („diskriminierungsfrei“).
Viele Busangebote werden eigenwirtschaftlich erbracht. Viele waren über das Ausmaß überrascht. Der WBO auch?
Nein. Im VVS-Gebiet z.B. gibt es auskömmliche allgemeine Vorschriften, die dies ermöglicht haben. Zum Verständnis: Eigenwirtschaftliche Verkehre unterliegen nicht dem EU-Recht (VO 1370), weil kein spezifischer Zuschuss durch die öffentlichen Hand erfolgt (keine „Bestellung“). Nach der Vorabbekanntmachung besteht die Möglichkeit (wie oben dargestellt), innerhalb von drei Monaten einen eigenwirtschaftlichen Antrag zu stellen. Ein Verkehrsunternehmen kann die Hand heben und sagen: Ich fahre euch den Verkehr ohne weitere Zuschüsse aus dem Kreis- oder Stadthaushalt. Eigenwirtschaftlicher Verkehr ist der ursprüngliche Busverkehr. Unternehmensinitiative und Eigenwirtschaftlichkeit haben über viele Jahre bestens zusammengepasst. Das Unternehmen lebt von den Fahrgeldeinnahmen; das Geld kommt direkt von der Kundschaft, was positive Effekte auf das Angebot hat. Auch aus der Perspektive des Gemeinwohls ist es begrüßenswert, wenn eine öffentliche Leistung ohne Zuschüsse zufriedenstellend erfolgen kann. Auch heute noch halten die privaten, meist familiengeführten Busunternehmen die Eigenwirtschaftlichkeit hoch – der Begriff „Unternehmer“ kommt vom Verb „unternehmen“. Die eigenwirtschaftlichen Verkehre finanzieren sich durch Fahrgeldeinnahmen und Mittel aus öffentlichen Kassen, die alle Unternehmen gleichermaßen zustehen (Ausgleichs- und Erstattungsleistungen für verbilligte Schülertickets, Freifahrt von Menschen mit Schwerbehinderung). Das wirtschaftliche Risiko liegt bei den Unternehmen. Durch die Pandemie sind eigenwirtschaftliche Verkehre unter Druck geraten, weil die Betroffenheit durch den Wegfall der Fahrgelderlöse weitaus größer gewesen ist.
Lässt sich sagen, welcher Anteil an der Gesamtleistung in Baden-Württemberg eigenwirtschaftlich erbracht wird?
Eine zuverlässige Aussage ist uns nicht möglich. Wir schätzen den Anteil eigenwirtschaftlicher Verkehre landesweit auf ein Drittel auf Basis der Fahrleistung. Vor allem im ländlichen Raum spielt Eigenwirtschaftlichkeit noch eine große Rolle. Es gibt zahlreiche Landkreise, die den Vergabeweg nicht eingeschlagen haben. Die Busverkehre in den Ballungsräumen werden von kommunalen Verkehrsunternehmen betrieben, die außerhalb des Wettbewerbs „direkt“ vergeben worden sind. Hier sind eigenwirtschaftliche Leistungen allein wegen der Verbindung mit Leistungen im Schienenverkehr ausgeschlossen. Allerdings gibt es Unternehmen in mittelgroßen Städten wie Ludwigsburg, Böblingen/Sindelfingen oder Aalen, die einen guten Takt und eine enge Bedienung eigenwirtschaftlich erbringen.
Wie häufig werden von Busunternehmen, die sich zur eigenwirtschaftlichen Leistungserbringung verpflichtet haben, Subunternehmen eingesetzt? Wie bewertet der WBO dies?
Die Subunternehmerquote ist bei ausgeschriebenen oder kommunalen Verkehren größer als bei eigenwirtschaftlichen. Ein eigenwirtschaftlicher Anbieter aus dem Mittelstand fährt in aller Regel seinen Verkehr selbst. Anders ist es typischerweise bei den Bahnbustöchtern – hier sieht das Geschäftsmodell im Regelfall viele kleinere Subunternehmer vor (Anteil über 50 Prozent).
Einige Busunternehmen haben sich offenbar wirtschaftlich übernommen. Lässt sich das Ausmaß quantifizieren?
In den vergangenen Jahren gab es vereinzelt Insolvenzen. Bedingt durch die Corona-Pandemie kamen einige wenige Betriebsaufgaben hinzu. Der WBO hat – und das ist beachtlich und freut uns besonders – in der Pandemie Mitglieder hinzugewonnen. Im VVS hatten wir beispielsweise drei Insolvenzen von Busunternehmen; eines davon (Rexer; nicht eigenwirtschaftlich) war auch in anderen Landesteilen unterwegs. Zum einen wurde versucht, den Stammverkehr zu verteidigen, zum anderen hat sich gezeigt, dass Wettbewerber von außerhalb „aggressiver“ kalkulieren. Beide Konstellationen haben zu Kampfpreisen geführt, die hinsichtlich der absehbaren Kostensteigerungen innerhalb von 10 Jahren Laufzeit viel zu optimistisch waren. Die Aufgabenträger haben bei diesen „günstigen“ Angeboten gerne zugegriffen und später sind ihnen die Vergabeentscheidungen auf die Füße gefallen. Wir sehen den eigentlichen Teil der Verantwortung bei den Aufgabenträgern.
Welche Möglichkeiten haben die Aufgabenträger, gegen Busunternehmen vorzugehen, die ihre (eigenwirtschaftlichen) Angebote nicht zuverlässig erbringen?
Aufgabenträger haben im Rahmen eines eigenwirtschaftlich erbrachten Verkehrs keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Zuverlässigkeit der zu erbringenden Verkehrsleistungen, da kein öffentlicher Dienstleistungsauftrag zwischen dem Verkehrsunternehmen und dem Aufgabenträger besteht. Vielmehr ist es Aufgabe der Genehmigungsbehörde nach PBefG (LRA oder RP), dann einzuschreiten, wenn das Verkehrsunternehmen die Verkehrsleistung nicht zuverlässig erbringt. Denn: Mit der Erteilung einer Verkehrsgenehmigung geht eine Betriebspflicht einher. Der Verkehrsunternehmer ist daher nicht nur dazu verpflichtet, den Verkehr einzurichten, sondern auch aufrechtzuerhalten. Insbesondere müssen die von der Genehmigungsbehörde genehmigten Fahrpläne eingehalten werden. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass Verkehrsunternehmen – schon im eigenen Interesse – ihre Verkehrsleistung zuverlässig erbringen. Unzuverlässigkeiten, wie z.B. Verspätungen, werden vom Fahrgast geahndet und das Unternehmen wird darauf bedacht sein, Beschwerden zu vermeiden und Unzulänglichkeiten sofort zu korrigieren.
Was mich oft wundert und ich nicht verstehe: Busunternehmen, die Leistungen eigenwirtschaftlich erbringen, sind auf jeden Fahrgast angewiesen, weil sich die Leistungen nur dann wirtschaftlich erbringen lassen, wenn die Fahrgelderlöse stimmen. Dennoch ist immer wieder festzustellen, dass Busse ohne Möglichkeit des Fahrkartenverkaufs unterwegs sind (fehlende Kasse, fehlender oder defekter Stempelautomat) oder Leistungen so unzuverlässig erbracht werden, dass Fahrgäste fern bleiben. Wie lässt sich das erklären?
Haben Sie da die letzten eineinhalb Jahre im Blick? Wenn ja, dann mag diese Aussage stimmen. Bevor die Trennwände zum Schutz des Busfahrers eingebaut waren, haben die Unternehmen zwangsweise auf den Fahrausweisverkauf verzichten müssen, um das Personal zu schützen. Abgesehen von der Pandemiesituation können wir uns fehlende Kassen damit erklären, dass temporär Ersatzfahrzeuge eingesetzt werden mussten, die über keine Verkaufsgeräte verfügen. Defekte Stempelautomaten können im Betriebsablauf vorkommen und werden – schon im eigenen Interesse des Verkehrsunternehmens – schnellstmöglich repariert. Im Übrigen ist es die Entscheidung des Genehmigungsinhabers und Auftraggebers, wen er als Subunternehmer einsetzt. Bei der Auswahl der Subunternehmer ist im Regelfall allein der Preis entscheidend.
Es liegen nun umfangreiche Erfahrungen mit der Ausschreibungs- und Vergabepraxis vor. Wo hat diese Praxis aus Sicht des WBO bewährt, wo sieht der WBO Handlungsbedarf?
Als Unternehmer müssen sie die Einnahme- und die Kostenseite im Auge haben. Die Preisgestaltung ist den Verkehrsunternehmen allerdings in Verkehrsverbünden weitgehend aus der Hand genommen worden. Durch einen qualitätsvollen Verkehr haben sie zumindest in der Welt der Eigenwirtschaftlichkeit die Möglichkeit, auf der Einnahmeseite zu punkten. In Vergabeverfahren sind die Unternehmen gezwungen, allein die Kostenseite zu „optimieren“, was zwangsläufig zu Lasten des Personals und der Zuverlässigkeit geht. Nach Vergaberecht erfolgt der Zuschlag von Gesetzes wegen auf das wirtschaftlichste Angebot (bestes Preis-Leistungs-Verhältnis). In der Praxis werden die Verfahren von den Beratern allerdings so ausgestaltet, dass der billigste Bieter zum Zuge kommen muss (Zuschlagskriterium 100 Prozent Preis). Die Vergabestellen nehmen sich somit unverständlicherweise jeglichen Spielraum in Richtung Qualität und Zuverlässigkeit.
Um einen qualitätsvollen, zuverlässigen ÖPNV auch in einer von den Aufgabenträger dominierten Welt zu gewährleisten, hat der WBO gemeinsam mit dem Land, Landkreis- und Städtetag das Bündnis für den Mittelstand ins Leben gerufen, das leider von der öffentlichen Hand nicht gelebt wird, was man z.B. an der Nichtanwendung des Baden-Württemberg-Index ÖPNV Straße ablesen kann. Der Index weist jährlich die prozentuale Kostenfortschreibung bei ÖPNV-Verkehrsleistungen u.a. in den Kostengruppen Personalkosten und Treibstoff- bzw. Energiekosten aus. Die Grundlage bildet dabei neben Bundes- und Landesindizes auch der WBO-Manteltarifvertrag als repräsentativer Tarifvertrag in Baden-Württemberg.
Der Baden-Württemberg-Index ÖPNV Straße kann auf der WBO-Homepage abgerufen werden (https://www.wbo.de/veroeffentlichungen/buendnis-fuer-den-mittelstand.html).
Wie groß ist der Mangel an Busfahrer*innen in Baden-Württemberg? Wie viele Stellen im ÖV sind besetzt, wie viele unbesetzt?
Aktuell gibt es keinen Mangel an Fahrpersonal. Vor der Corona-Pandemie waren Fahrerinnen und Fahrer sehr gesucht. Durch das wiederholte Verbot von touristischen Busfahrten (die Reisebusunternehmen waren mehrfach die ersten Gewerbetriebe, die schließen mussten, und mit die letzten, die wieder öffnen durften) ist Personal freigesetzt worden. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.
Immer wieder wird Lohndumping im Busgewerbe vermutet. Was verdient ein Busfahrer nach WBO-Tarifvertrag derzeit? Wie sind Wochenarbeitszeit und Urlaubsanspruch derzeit geregelt?
Vor der Pandemie herrschte Fahrermangel; gutes Fahrpersonal konnte sich aussuchen, für wen es fährt. An Lohndumping ist unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Zurzeit verdient ein erfahrener Busfahrer 18,33 € pro Stunde – es gilt eine durchschnittliche 39-Stunden-Woche und 30 Tage Urlaub im Jahr. Diese Standards sind kaum zu unterlaufen. Für Berufsanfänger beträgt der Stundenlohn 16,50 € und steigt danach an. Mit abgeschlossener spezifischer Berufsausbildung ist das obige Niveau im vierten Jahr erreicht.
Wie hoch ist die Tarifbindung in der Branche? Sind auch die für meine Region wichtigen Busunternehmen FMO (Bustochter der Deutschen Bahn) und Melchinger an den Tarifvertrag gebunden?
Das Tariftreue-Gesetz des Landes gibt repräsentative Tarifverträge wie den des WBO bei Vergaben zwingend vor. In Zeiten des Fahrpersonalmangels kommt kein Verkehrsunternehmen daran vorbei, ordentliche Löhne zu zahlen. Das Linienbündel 1 des Landkreises Esslingen, welches sich die FMO gesichert hat, wird eigenwirtschaftlich betrieben. In diesem Fall besteht nach Gesetz keine Tarifbindung. Im Großraum Stuttgart ist es jedoch nicht möglich, untertariflich Fahrpersonal zu beschäftigen.
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Hier noch einige Hintergrundinformationen zu den Busverkehren auf den westlichen Fildern:
Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2019 haben sich zahlreiche gravierende Änderungen ergeben. Zum Bündel Esslingen 1 zählten die bisherige Linie 806 sowie die Außenbuslinien 35, 36, 36E, 37, 38 und 38E der SSB, die sich ebenfalls aus EU-rechtlichen Gründen aus den Linien zurückzogen. Hieraus wurden deshalb die neuen Liniennummern 815, 816, 816A, 817, 818 und 818A. Ganz neu hinzu kamen die Linien mit den Nummern 812, 813, 814 und N18. Das Bündel Esslingen 1 bekommt keine Zuschüsse durch den Landkreis und den Kommunen. Das Risiko des eigenwirtschaftlichen Linienbündels trägt allein das Verkehrsunternehmen, das die Fahrgeldeinnahmen und Durchtarifierungsverluste bekommt (FMO, Tochterunternehmen der Deutschen Bahn). Der Omnibusverkehr Melchinger, der schon zuvor im Auftrag der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) fuhr, übernahm als Subunternehmer über ein Drittel der Fahrten für FMO. FMO hat die geforderten Mindestleistungen in seinem Antrag nochmal deutlich überschritten. Dies bedeutet, dass ein Angebot für die Fahrgäste gefahren wird, das über den in der Ausschreibung vorgesehenen Umfang hinausgeht.