Der Verband Region Stuttgart (VRS) ist zunächst einmal Aufgabenträger für die S‑Bahn Stuttgart, die häufig als „Säule der Mobilität in der Region“ tituliert wird. Der Verband übernimmt darüber hinaus weitere verkehrliche Aufgaben, wie teils wegweisende Studien deutlich machen, die vom VRS beauftragt worden waren. Im Mittelpunkt steht der Ausbau des S‑Bahn-Netzes.
Verkehrsentwicklung seit 2019
Das Aufkommen an Kraftfahrzeugverkehr lag im Jahr 2022 noch leicht unter dem des vor-Corona-Niveaus von 2019. Seit Mitte 2023 hat es wieder das frühere Niveau erreicht. Die Nachfrage in den S‑Bahnen liegt hingegen noch unter der des Jahres 2019, befindet sich jedoch im Aufwärtstrend. Hier überlagern sich vermutlich verschiedene Trends: Das Deutschlandticket verhilft auch unserer S‑Bahn zu neuen Fahrgästen und zu Fahrgästen, die bisher gelegentlich fuhren, nun aber häufiger fahren. Zugleich wird die Fahrgastentwicklung gedrückt durch baustellenbedingte Streckensperrungen, Taktausdünnungen und massive Pünktlichkeitsprobleme. Auffallend ist, dass sich die Verkehrsnachfrage an Wochenenden, insbesondere an Samstagen, stärker von der „Coronadelle“ erholt hat als unter der Woche. Von Montag bis Freitag lässt sich eine weitere Veränderung festhalten: Die Fahrgastzahlen verteilen sich anders als früher über den Tag. Die Spitzen während der Hauptverkehrszeiten verlaufen flacher. Zwischen 11 und 15 Uhr wird relativ mehr gefahren. Werden die Nutzerinnen und Nutzer der S‑Bahn nach dem Anlass ihrer Fahrt gefragt, lassen sich auch hier Veränderungen feststellen, wenn auch nicht stark ausgeprägt: Arbeit, Schule und Ausbildung bieten seltener Anlässe, Freizeitanlässe nehmen hingegen zu. Ob S‑Bahn oder Auto: Zugenommen haben die Kurzwege bis zwei Kilometer. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass der Autoverkehr am Kesselrand abgenommen hat.
S‑Bahn nach Geislingen und Bad Boll?
Der VRS hat die Anbindung aller Mittelzentren der Region an die S‑Bahn untersuchen lassen. Diese würden auf einigen Strecken, so auch nach Geislingen, die Metropolexpresszüge (MEX) ergänzen. Untersucht wurde die betriebliche und wirtschaftliche Umsetzbarkeit. Die Linie S 1 würde ab der Station Schwabstraße eine Streckenlänge von 64 Kilometer befahren. Es könnten 8.800 Fahrgäste täglich gewonnen werden. Bereits an den Stationen vor Göppingen würde sich – von „Schwabstraße“ aus gesehen – das Fahrgastaufkommen deutlich verringern. Auch deshalb haben die Gutachter untersucht, ob die Schwächung in Göppingen Sinn macht, also das Zurücklassen eines Zugteils in Göppingen. Auch eine Erschließung von Bad Boll über die dann zu reaktivierende Strecke aus Göppingen wurde betrachtet. In diesem Fall würde von Göppingen aus ein Zugteil weiter nach Geislingen und ein anderer nach Bad Boll fahren. Das hohe Nutzen-Kosten-Verhältnis für die S‑Bahn nach Geislingen von 2,02 erlaubt derartige Gedankenspiele. Mit der kombinierten S1-Verlängerung nach Göppingen und Geislingen ließen sich insgesamt 9.670 zusätzliche Fahrgäste pro Tag gewinnen. Unter Berücksichtigung von Investitionskosten in Höhe von 272 Millionen Euro für den Streckenbau nach Boll ergäbe sich immer noch eine positive Wirtschaftlichkeit von 1,19. Die Gutachter stellen aber auch fest: Die S‑Bahn nach Bad Boll trägt sich nicht unabhängig von einer Realisierung der S‑Bahn nach Geislingen.
Bahnanbindung von Weilheim an der Teck
Untersucht wurde die Verlängerung der S 1 von Kirchheim unter Teck nach Weilheim an der Teck. Auf dem 8,4 Kilometer langen Streckenast, der reaktiviert werden müsste, wären demnach 2.100 Fahrgäste pro Tag zu erwarten. Bei Infrastrukturkosten von 164 Millionen Euro wurde ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 1,25 errechnet. Die Gutachter empfehlen daher eine weitere Betrachtung der Streckenreaktivierung nach Weilheim, auch im Zusammenhang mit einer noch laufenden Studie zur Teckbahn.
Durchbindung von Kirchheim unter Teck über Bad Boll nach Göppingen
Diese Untersuchung liegt noch nicht vor.
StuKiX nach Kirchheim unter Teck
Die Idee: Ein schneller Regionalzug vom neuen Stuttgarter Hauptbahnhof und darüber hinaus über den Flughafen und die Neubaustrecke nach Kirchheim unter Teck. Dazu müsste bei Wendlingen eine Ausfädelung von der Neubaustrecke hin zur Strecke nach Kirchheim gebaut werden. Die Strecke mit einer Länge zwischen Stuttgart und Kirchheim von 33 Kilometer könnte in äußerst attraktiven 25 Minuten befahren werden. 5.400 Menschen könnten dadurch täglich zusätzlich für den öffentlichen Nahverkehr als Fahrgäste dieser Linie gewonnen werden. Dabei wird ein Halbstundentakt unterstellt. Leider wurde wegen der hohen Baukosten der sogenannten „Südumfahrung Wendlingen“, also der Ausfädelung von der Neubaustrecke, in Höhe von 384 Millionen Euro nur ein NKV von 0,51 errechnet. Eine Wirtschaftlichkeit und damit Förderfähigkeit seitens des Bundes ist damit nicht gegeben. Würde die „Südumfahrung Wendlingen“ hingegen als gegeben angenommen werden, so dürfte sich eine Wirtschaftlichkeit erreichen lassen. Die Frage ist allerdings dann, wer die Südumfahrung bauen soll und wie sie finanziert werden kann, wenn die hohen Baukosten die Wirtschaftlichkeit Infrage stellen. Allerdings: Die Südumfahrung war schon Thema vor der Idee des Expresszuges. Dabei ging es um die Herausverlegung der Bahnstrecke, um die Konflikte mit den innerörtlichen Bahnübergängen zu beheben. Die Gutachter empfehlen den StuKiX als „Maßnahme mit langfristiger Perspektive“. Die Gremien des VRS sehen daher zunächst keine Aktivitäten vor.
Schusterbahn
Die 15 Kilometer lange Schusterbahn ist eine eingleisige Strecke zwischen Stuttgart-Untertürkheim und Kornwestheim. Es werden bisher nur wenige Fahrten des regionalen Schienenverkehrs angeboten. Untersucht wurden zwei Stufen:
Stufe 1 sieht eine Bedienung zwischen Untertürkheim und Ludwigsburg mit stündlich verkehrenden Regionalzügen vor, die nach der Stuttgart 21-Inbetriebnahme umgesetzt werden kann. Hierbei sind allerdings noch einige Finanzierungsmodalitäten mit dem Land Baden-Württemberg zu klären.
Für Stufe 2 wurden drei Varianten betrachtet: Regionalzüge zwischen Esslingen, Ludwigburg und Bietigheim-Bissingen oder Regionalzug zwischen Esslingen, Ludwigsburg und Markgröningen sowie eine S‑Bahn zwischen Esslingen, Ludwigsburg und Bietigheim. Kompliziert ist das Thema unter anderem durch die unterschiedlichen Bahnsteighöhen an den Stationen. Erforderlich wären in allen drei Fällen Investitionen: Überwerfungsbauwerk bei Kornwestheim, Aufhöhung von Bahnsteigen sowie Ausbau des Bahnhofs in Stuttgart-Münster sowie das Schaffen einer zusätzlichen Wendemöglichkeit in Esslingen. Die Variante nach Markgröningen sollte lt. Empfehlung der Gutachter nicht weiterverfolgt werden, da die hohen Kosten für ein zusätzlich notwendiges Überwerfungsbauwerk in Ludwigsburg keine Wirtschaftlichkeit erwarten lassen würde.
Die beiden Varianten einer Linie zwischen Esslingen und Bietigheim über die Schusterbahn unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Bedienform als Regionalbahn mit 76 Zentimeter hohen Bahnsteigen oder als S‑Bahn mit 96 Zentimeter hohen Bahnsteigen.
Die Regionalbahn-Variante holt zusätzliche 7.300 Personen pro Tag auf diese Strecke, für deren Ausbau insgesamt Kosten von 201 Millionen Euro fällig werden. Trotz dieser Kosten hat diese Linie ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis von 2,41.
Die Bedienung dieser Linie als S‑Bahn sorgt für ein noch höheres Fahrgastaufkommen. Die zusätzlichen 9.100 Fahrgäste pro Tag zeigen im Vergleich zur Regionalbahn-Variante, dass in Ballungsräumen nach wie vor eine S‑Bahn die meisten Fahrgastpotentiale und damit die größte verkehrliche Wirkung bietet. Auch eine mögliche weitere Verlängerung dieser Linie nach Walheim erscheint denkbar. Ursächlich für das etwas niedrigere NKV von 2,27 sind neben den etwas höheren Kosten für die zu schaffende Infrastruktur von 206,8 Mio. Euro auch etwas höhere Unterhaltungs- und Betriebskosten.
Weitere S‑Bahn-Projekte
Die S‑Bahn nach Neuhausen (im Bau) und nach Nürtingen (zusätzlicher Bahnsteig in Nürtingen in Planung) waren jüngst kein Thema mehr beim VRS, da diese Projekte laufen. Untersucht wurde die Verlängerung der S‑Bahn nach Bondorf. Diese würde sich zwar wirtschaftlich nicht bewähren, wird aber wegen der sehr geringen Investitionskosten von 10,5 Millionen Euro und der Lage Bondorfs mit einem „großen Entwicklungspotential“ zur Weiterverfolgung der Idee empfohlen. Eine S‑Bahn über Schorndorf hinaus nach Plüderhausen würde 800 Fahrgäste gewinnen, wäre mit etwas höheren Investitionskosten verbunden und würde ebenfalls keinen NKV größer Eins erreichen. Die Gutachter empfehlen die Verlängerung nach Plüderhausen als eine „Maßnahme mit langfristiger Perspektive“. Nach Vaihingen/Enz wurden verschiedene mögliche Varianten einer S‑Bahn-Verlängerung näher betrachtet. Aus betrieblichen Gründen ist eine separate S‑Bahn-Trasse im Bereich Vaihingen sinnvoll, weshalb stellvertretend eine Variante mit einer Teilreaktivierung der „Vaihinger Stadtbahn“ betrachtet wurde. Diese Variante würde mit einem Investitionsbedarf von 74 Millionen Euro zu Buche schlagen und ließe 4.900 zusätzliche Fahrgäste erwarten. Mit einem positiven NKV von 1,78 wird empfohlen, die Maßnahme weiter zu verfolgen. Zudem könnte Vaihingen (Enz) ein guter Standort für ein neues S‑Bahn-Betriebswerk sein, das für weitere Synergieeffekte bei einer S‑Bahn-Verlängerung sorgen würde.
Zu allen möglichen S‑Bahn-Verlängerungen merke ich kritisch an, dass diese das ohnehin schlechte Pünktlichkeitsniveau der S‑Bahn Region Stuttgart noch weiter drücken könnten. Langlaufende Linien, insbesondere auf Strecken mit viel Mischverkehr aus S‑Bahnen, dem Regional- und Fernverkehr sowie dem Güterverkehr, sind tendenziell besonders verspätungsgefährdet.
Im Detail hat die Regionalversammlung Folgendes zur S‑Bahn beschlossen:
- Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie sollen für den weiteren Ausbau der S‑Bahn zugrunde gelegt werden. Die Geschäftsstelle wird beauftragt, die Maßnahmen voranzutreiben und über die Entwicklungen zu berichten.
- Die Geschäftsstelle wird beauftragt, die vertraglichen Regelungen für die HOAI Lph 1+2 für die S1-Verlängerung nach Geislingen a.d.S. vorzubereiten und zur Beschlussfassung vorzulegen, damit Chancen für eine Integration der Maßnahme in die Korridorsanierung auf der Strecke von Plochingen nach Ulm genutzt werden können.
- Die Geschäftsstelle wird beauftragt, für die Verlängerung der S5 nach Vaihingen (Enz) eine weitere Variante mit Halt der S‑Bahn am bestehenden Bahnhof Vaihingen (Enz) zu untersuchen. Im Rahmen dieser Variante sollen auch mögliche Chancen für eine eventuelle Umsetzung eines S‑Bahn-Betriebswerkes unter Einbeziehung der stillgelegten Altstrecke der DB ermittelt werden. Die verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten sind mit allen Beteiligten zu klären, die im Regionalplan getroffenen Festlegungen sind in den derzeit laufenden Entwidmungsverfahren einzubringen.
- Die Geschäftsstelle wird beauftragt, die kurzfristige verkehrliche Verbesserung auf der Schusterbahn voranzutreiben. Dazu soll mit dem Land die Förderbereitschaft für Betriebskosten der Angebotsausweitung der Schusterbahn zwischen Untertürkheim und Ludwigsburg im 60- Minuten-Takt geklärt werden. Dabei ist auch zu klären, ob die kurzfristige Angebotsausweitung ohne negative Auswirkung auf die Fördermöglichkeiten der Langfristperspektiven möglich ist. Darüber hinaus wird die Geschäftsstelle beauftragt, die planerischen Randbedingungen für den längerfristigen Ausbau der Schusterbahn als S‑Bahn-Tangentiale mit der Landeshauptstadt Stuttgart und dem Verkehrsministerium in Relation mit deren Planungen festzulegen und weiter voranzutreiben.