Plenarrede zu E‑Kleinstfahrzeugen
Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir als Grüne sind seit dem Jahr 2015 intensiv an diesem Thema dran und setzen uns für die Freigabe der Elektrokleinstfahrzeuge ein. Andere Länder, auch in Europa, sind uns da um Jahre voraus. In Deutschland wird sehr spät, sehr zögerlich, sehr kompliziert und vielfach leider auch zulasten des Fuß- und Radverkehrs reagiert.
(Felix Schreiner (CDU/CSU): Sehr negativ!)
Diese Zögerlichkeit führt dazu, dass viele Start-ups mit ihren Ideen, die hinter diesen Mobilitätskonzepten stecken, lange warten mussten, bis endlich die Freigabe für diese Fahrzeuge erteilt wurde und sie endlich ihre Produkte auf den Markt bringen können. Aber wir haben schon einen unregulierten Markt, und das ist natürlich ein Problem.
Die Kleinstfahrzeuge bieten eine ganze Menge Chancen. Die Hälfte aller Autofahrten findet im Kurzstreckenbereich statt. Und wer, aus welchen Gründen auch immer, Kurzstrecken nicht mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen möchte, bekommt mit den Elektrokleinstfahrzeugen eine dritte Alternative zu Autofahrten auf kurzen Strecken zur Verfügung gestellt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Cezanne (DIE LINKE))
Elektrokleinstfahrzeuge können auch Schwung in Sharing-Konzepte bringen und eine Empfehlung für E‑Mobilität insgesamt und damit auch für den Abschied vom Verbrennerauto darstellen. Diese Chancen müssen aber klug genutzt werden. Und klug nutzen bedeutet, Entwicklung zuzulassen und gleichzeitig auf die Verkehrssicherheit besonders achtzugeben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dann können die Chancen genutzt werden, beispielsweise in Ergänzung zu öffentlichen Verkehrsmitteln, durch die Mitnahme dieser Fahrzeuge in Bus und Bahn, was aufgrund des Gewichts und der Größe dieser Fahrzeuge viel einfacher möglich ist als beim Fahrrad.
Wir erkennen durchaus an, dass die Bundesregierung gegenüber ihren ersten Entwürfen einer Verordnung nachgebessert hat. So gibt es beispielsweise keine Vorgabe mehr für den Mofaführerschein. Es gibt die Möglichkeit, auch Fahrzeuge ohne Lenk- und Haltestange zuzulassen. Das ist auch richtig. Zufrieden sind wir mit dieser Verordnung der Bundesregierung trotzdem nicht;
(Florian Oßner (CDU/CSU): Immer noch nicht! Sieh mal, es ist so schwierig, euch zufriedenzustellen!)
sie bleibt kompliziert. Es bleibt beim deutschen Sonderweg, sodass Fahrzeuge extra für den deutschen Markt entwickelt und produziert werden müssen.
Wir als Grüne hätten uns auch vorstellen können, die Personenmitnahme und das Mitführen eines Anhängers zuzulassen; das haben Sie leider in Ihrer Verordnung nicht berücksichtigt. Mit Ihrer Verordnung bleibt auch vieles im Unklaren: Die Mitnahme von Elektrokleinstfahrzeugen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist beispielsweise noch nicht geregelt, genauso wenig wie die Frage, ob die Kleinstfahrzeuge auch auf Feld- und Waldwegen genutzt werden dürfen. Wir hätten damit kein Problem; aber dazu gibt es von Ihnen noch keine Aussage. Das bedeutet: Obwohl jetzt ein Verordnungsentwurf vorliegt, macht die Bundesregierung am Ende nichts anderes, als sowohl die Hersteller als auch die Nutzer zu verunsichern. Und das ist natürlich kein gutes Zeichen für eine solche Verordnung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unser Hauptkritikpunkt zu dieser Verordnung ist, dass ein Gutteil dieser Fahrzeuge auch auf Gehwegen fahren soll. Wir haben eine jahrzehntelange Fehlentwicklung bei der Aufteilung von Verkehrsräumen. In der Regel wird zunächst einmal die Fahrbahn für Autos und Lkws geplant – sie ist mindestens 6,50 Meter breit -, und dann wird geschaut, wie viel Platz übrig ist. Den bekommen dann diejenigen, die zu Fuß unterwegs sind, teilweise auch diejenigen, die mit dem Rad unterwegs sind. Geh- und Radwege sind häufig zugeparkt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Bußgelder so gering sind und das Zuparken von Wegen als Kavaliersdelikt gesehen wird.
(Jörn König (AfD): Weil es zu wenig Parkplätze gibt!)
Diesen begrenzten Verkehrsraum für den Fuß- und Radverkehr wollen Sie, sowohl die Bundesregierung als auch in noch größerem Umfang die FDP mit ihrem Antrag, jetzt noch für die Elektrokleinstfahrzeuge freigeben. Aber Geh- und Radwege sind keine freie Verfügungsmasse für alle neuen Mobilitätsangebote.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Am Beispiel der Elektrokleinstfahrzeuge zeigt sich die gesamte Feigheit der Verkehrspolitik bei uns in Deutschland.
(Zurufe von der CDU/CSU: Uijuijui!)
Erst wurde die Verordnung lange verschleppt, dann wurde sie unter massivem öffentlichem Druck endlich vorgelegt, und jetzt werden die Elektrokleinstfahrzeuge bei den schwächsten Verkehrsteilnehmern abgeladen. Damit sind Konflikte vorprogrammiert.
(Felix Schreiner (CDU/CSU): Wie läuft es denn in Baden-Württemberg?)
Und wo es Konflikte gibt, wird die Akzeptanz für diese Fahrzeuge eben nicht da sein; aber genau darauf kommt es an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nötig ist, dass Verkehrsräume neu aufgeteilt werden. Verkehrsräume müssen von außen nach innen entwickelt werden: erst die Gehwege in der erforderlichen Breite, dann die Radwege in einer Breite, die auch Elektrokleinstfahrzeuge zulassen. Und daraus ergibt sich dann die mögliche Fahrbahnbreite für Autos und Lkws.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das geht natürlich nicht von heute auf morgen; aber wir müssen endlich damit anfangen, die Verkehrsräume neu aufzuteilen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Was sofort möglich und für die Verkehrssicherheit auch notwendig ist, ist, dass wir den Kommunen mehr Spielräume geben, um Tempo 30 innerorts auszuweisen. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Verkehrssicherheit für alle. Aber das möchten weder die Bundesregierung noch die FDP. Die FDP möchte die Belange der Autofahrenden stärker als bisher berücksichtigt wissen.
(Daniela Kluckert (FDP): Wo steht denn das, Herr Gastel?)
Das ist natürlich ein Problem. Es stellt sich die Frage: Was denn nun? Mehr Platz für die Elektrokleinstfahrzeuge oder mehr Raum und Rechte für die Autofahrenden? Beides zusammen wird schwer möglich sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir halten den Antrag der FDP in manchen Punkten durchaus für diskussionswürdig.
(Daniela Kluckert (FDP): Hört! Hört!)
Wir hätten aber ein Problem, wenn er eine Mehrheit fände. Es müsste eine neue Anhörung mit Verbänden und Ländern geben. Das heißt, es würde dieses Jahr keine Freigabe für Elektrokleinstfahrzeuge erfolgen. Wir wollen diese Freigabe aber. Deswegen sagen wir: Auch wenn die Verordnung nicht gut ist, soll die Bundesregierung sie in Kraft setzen. Wir sehen uns an, wie sie sich auswirkt und bessern dann entsprechend nach.
Absehbar ist aber, dass es keinen Sinn macht, die Elektrokleinstfahrzeuge einfach zuzulassen und an der Verkehrspolitik ansonsten keine Veränderungen vorzunehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen endlich eine Regierung, die dem Fuß- und Radverkehr inklusive Elektrokleinstfahrzeuge den nötigen sicheren Verkehrsraum zubilligt.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Und wir brauchen das Ende der Rede.
Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dann bekommen alle diese Verkehrsmittel, die zukunftsfähig, umwelt‑, klima- und auch menschenfreundlich sind, ihre Chance.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Hier geht es zum Video: https://dbtg.tv/fvid/7337671