20.08.2019
Die Verkehrswende auch in unseren Regionen umsetzen
Ein Papier von Stephan Kühn, Markus Tressel, Matthias Gastel, Stefan Gelbhaar, Oliver Krischer, Cem Özdemir, Daniela Wagner Stephan Kühn (alle MdB)
Zusammenfassung
Die Mobilitätsverhältnisse in der Stadt und auf dem Land unterscheiden sich oft erheblich voneinander. Während in den Städten neue Mobilitätsdienste entstehen und das Angebot bei Bussen und Bahnen ausgebaut wird, wird der öffentliche Nahverkehr auf dem Land immer weiter ausgedünnt, sodass viele Menschen abhängig vom eigenen Auto sind. Wer kein Auto fahren will oder sich kein Auto leisten kann, steht vor großen Problemen. Wir setzen daher auf eine Mobilitätspolitik für den ländlichen Raum, die bezahlbare, zuverlässige und nachhaltige Mobilität für alle sicherstellt.
Regionale Mobilitätsgarantie: Wir wollen eine regionale Mobilitätsgarantie, die allen Menschen den Zugang zu einem regelmäßigen und verlässlichen Nahverkehrsangebot ermöglicht. Dazu gehören mindestens ein stündlicher Takt zwischen den Mittelzentren und flexible Angebote bis zur Haustür. Strukturschwache Regionen unterstützen wir durch gezielte Förderung bei der Umsetzung.
Mobilitätsstationen: Damit alle Menschen auf dem Land auch ohne eigenes Auto einfach und zuverlässig zum Ziel kommen, wollen wir die Verkehrsmittel besser miteinander vernetzen. An Mobilitätsstationen, die vor allem an Bahnhöfen entstehen können, sollen verschiedene Angebote von Bus und Bahn bis hin zu Taxen und Leihrädern gebündelt zur Verfügung stehen. Mit dem grünen Mobilpass werden alle Angebote über eine App buchbar – so beenden wir das Tarifchaos.
Fahrrad: Wir sorgen für mehr Fahrradstellplätze an Bahnhöfen, mehr Mitnahmemöglichkeiten in Zügen und investieren in bessere Radwege. So machen wir Radfahren im ländlichen Raum sicherer und praktischer, damit das Rad vor allem als Zubringer zur nächsten Mobilitätsstation attraktiver wird.
Bahn: Wir holen die Bahn zurück in die Fläche, indem wir stillgelegte Strecken reaktivieren, mehr Strecken elektrifizieren und so die Anbindung des ländlichen Raumes an die Städte und Metropolen stärken. Wir machen die Bahn zum Rückgrat der Verkehrswende. Mit dem Deutschlandtakt schließen wir das ganze Land gut vertaktet an den Schienenfernverkehr an.
Auto: Das Auto wird auf dem Land weiter eine wichtige Rolle spielen. Damit die Elektromobilität nicht am ländlichen Raum vorbeizieht, wollen wir den Aufbau von öffentlichen Ladesäulen stärker fördern und sie flächendeckend verfügbar machen. Durch eine Verdoppelung der Kaufprämie machen wir die Anschaffung von E‑Autos attraktiver.
Pendeln: Indem wir neue, urbane Arbeitsformen wie Coworking Spaces ins Dorf holen, wird der ländliche Raum attraktiv für Arbeitskräfte, die es heute in die Großstädte zieht. Das reduziert die Notwendigkeit zu pendeln.
- Es ist Zeit für eine neue Mobilitätspolitik für die ländlichen Regionen
Von gleichwertigen Lebensverhältnisse, wie sie unser Grundgesetz vorsieht, sind wir in Deutschland weit entfernt. Egal, ob es um ärztliche Versorgung, Kultureinrichtungen oder den Einzelhandel geht: Es sind vor allem Versorgungslücken auf dem Land, die dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse widerstreben.
Es lässt sich kein einheitliches Bild für den ländlichen Raum zeichnen. Doch es offenbaren sich ähnliche Herausforderungen, mit denen sich unsere Dörfer und ländliche Siedlungen konfrontiert sehen. Wechselseitig verstärken sich einerseits der demografische Wandel und andererseits die Abwanderung meist jüngerer Menschen sowie die Verlagerung von Unternehmen und Dienstleistungen in die Ballungszentren. Zahlreiche Gemeinden haben Probleme, attraktiv und lebenswert zu bleiben und Angebote der Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Viele Menschen fühlen sich abgehängt.
Wo sich soziale, kulturelle und wirtschaftliche Einrichtungen aus ländlichen Regionen zurückziehen, müssen die Bewohner*innen größere Distanzen zurücklegen, um trotzdem am gesellschaftlichen Miteinander teilhaben zu können. Doch auch Mobilitätsangebote stehen zunehmend unter Druck. Wer auf dem Land den Nahverkehr nutzen will, kommt kaum schnell und ohne Umwege ans Ziel. Teure Nahverkehrstickets, gestrichene Verbindungen oder ein Busangebot, das nur aus dem Schülerverkehr besteht, sind oft Indikatoren für die Situation im ländlichen Raum insgesamt. Wer es sich finanziell und altersbedingt leisten kann, fährt Auto – und verstärkt damit die Nöte des Nahverkehrs.
Wir brauchen eine Mobilitätspolitik für den ländlichen Raum, die bezahlbare, zuverlässige und klimafreundliche Mobilität für alle Menschen sicherstellt. Sie ist Voraussetzung jeglicher Interaktion im ländlichen Raum. Eine solche Mobilitätspolitik für unsere Dörfer und Gemeinden darf sich nicht damit begnügen, die Abwärtsspirale abzufedern, sondern muss den Anspruch haben, ländliche Gegenden wieder zu attraktiven Regionen in diesem reichen Land zu machen. Grundlage für diese Mobilitätspolitik für den ländlichen Raum ist die Stärkung öffentlicher Mobilitätsangebote, die Verknüpfung der Verkehrsträger und die Nachhaltigkeit der Antriebsarten.
- Die regionale Mobilitätsgarantie – damit ländliche Räume erreichbar bleiben
Für strukturschwache, oft ländliche Regionen, die unter dem demografischen Wandel leiden, wird es immer schwieriger, ihren Bürger*innen eine verlässliche, gute und allgemein zugängliche Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Die Abkoppelung vom öffentlichen Nahverkehr („Der Bus, der nicht mehr kommt“) ist dabei ein Sinnbild geworden für die Ungleichheit der Lebensverhältnisse und für das Gefühl, allein gelassen zu werden, das sich in manchen Regionen ausbreitet. Diese Entwicklung ist eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir Grüne fordern deshalb in unserem „Pakt für lebenswerte Regionen“1 in drei zentralen Bereichen – Mobilität, Internet und Gesundheit – eine räumliche Grundsicherung, also Versorgungsangebote, auf die Menschen überall bauen können. Zur gezielten Unterstützung strukturschwacher Regionen sieht der Pakt die Einrichtung von Regionalmanagements und ein neues Bund-Länder-Förderinstrument im Umfang von zunächst einer Milliarde Euro im Jahr vor, das die beiden bestehenden Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben des Grundgesetzes ergänzt.
Zur regionalen Grundsicherung muss eine regionale Mobilitätsgarantie gehören, denn auch außerhalb von Ballungsräumen müssen Verkehrsteilnehmer*innen praktikable Alternativen zum eigenen Auto offen stehen. Vertaktete Busangebote bis in die späten Abendstunden müssen im ländlichen Raum zum Standard werden. Dadurch wird es möglich, auch in den Schulferien sowie an den Wochenenden problemlos und sicher von A nach B zu gelangen oder einen zentralen Verkehrsknotenpunkt zu erreichen. Auf dem Land müssen vor allem Unter- und Mittelzentren sowie die Knotenpunkte des Nahverkehrs möglichst ohne Umstieg in angemessener Zeit erreichbar sein. Zwischen Mittelzentren müssen Schienen- oder Regiobus-Verbindungen mindestens stündlich verkehren.
Orientiert an der Nachfrage vor Ort und der vorhandenen Infrastruktur muss das Angebot des Linienverkehrs bedarfsgerecht um flexible Bedienformen ergänzt werden, die die Anbindung an die Linienverkehre sicherstellen. Zusätzlich können Kombibusse, die neben Fahrgästen auch Waren transportieren können, sowie Car- und Bikesharingangebote in eine solche Mobilitätslösung integriert werden. Auch ehrenamtliche Bürgerbusse können eine Rolle spielen. Die Mindeststandards für Linienverkehre und nicht-liniengebundene Angebote werden von den einzelnen Ländern und Kommunen definiert und in den Nahverkehrsplänen festgelegt. Viele Regionen Deutschlands haben bereits eigene Angebote geschaffen, um die Mobilität in ländlichen Räumen zu verbessern. Diese Erfahrungen gilt es zu nutzen. Erfolgreiche Modellprojekte müssen verstetigt und auf weitere Regionen übertragen werden.
Strukturschwache Regionen gezielt fördern
Um die Mobilitätsgarantie zu verwirklichen, sollen bereits bestehende Fördermöglichkeiten auf Landes‑, Bundes- und EU-Ebene identifiziert und genutzt werden. Darüber hinaus schließen Fördergelder aus dem Bund-Länder-Förderinstrument Lücken, wo bestehende Förderprogramme nicht greifen. So können etwa die Ausweitung des Busangebots, die Verbesserungen der Aufenthaltsqualität in Stationen und Fahrzeugen oder neue, ergänzende Mobilitätsangebote finanziert werden. Wo sich neue Mobilitätsdienste nicht eigenwirtschaftlich betreiben lassen, können diese gefördert werden, um Versorgungslücken zu schließen.
Autonomes Fahren in die Praxis holen
Langfristig wird das autonome Fahren den Nahverkehr in ländlichen Räumen ergänzen und stärken. Autonome Shuttles, die flexibel bestellt werden können, dienen dann ebenfalls als Zubringer für den öffentlichen Verkehr. Neben neuen Mobilitätsdiensten können solche Shuttles das Mobilitätsangebot aufrechterhalten, wo feste Fahrpläne auf zu wenig Nachfrage treffen. Ein Gutachten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Auftrag der Grünen-Bürgerschaftsfraktion Hamburg zeigt beispielsweise, dass autonome Shuttles die Betriebskosten gegenüber konventionellen Busangeboten um rund die Hälfte senken können. Doch sowohl der Rechtsrahmen, als auch die Technik sind noch unterentwickelt. Wir wollen über einen innovativen Rechtsrahmen dafür sorgen, das autonome Fahren insbesondere für den öffentlichen Verkehr voranzubringen.
- Mobilitätsstationen: Knotenpunkte für die Verkehrswende
Jeden Ort im ländlichen Raum auch ohne eigenes Auto erreichen – das kann nur funktionieren, wenn sich andere Verkehrsmittel reibungslos kombinieren lassen. Mobilitätsstationen, die eine Auswahl von nachhaltigen Mobilitätsdienstleistungen gebündelt an einem Ort anbieten, werden deshalb zu wesentlichen Infrastrukturelementen im Verkehrsnetz des ländlichen Raumes. Mobilitätsstationen sind einerseits Knotenpunkte für interkommunalen Regionalbus- oder Schienenverkehr zwischen den Mittel- und Oberzentren des ländlichen Raumes, andererseits bieten sie Mobilitätsdienstleistungen für den lokalen Verkehr an. Dafür eignen sich vor allem, aber nicht ausschließlich, Bahnhöfe.
Alle Verkehrsmittel an einem Ort
Das Angebot kann dabei etwa aus E‑Roller- und Fahrradverleihsystemen sowie lokalen Buslinien und Taxen bestehen und wird ergänzt durch Infrastruktur wie geschützte Fahrradabstellanlagen und Ladesäulen für E‑Zweiräder und E‑Autos. Witterungsgeschützte Aufenthaltsbereiche, Sitzgelegenheiten, WLAN sowie Informations- und Notrufsäulen schaffen ein angenehmes und sicheres Umfeld. Größere Mobilitätsstationen können darüber hinaus einen (multifunktionalen) Kiosk, ein Café oder sogar einen Coworking Space (s.u.) umfassen. Bei Bedarf sind auch Verleihstationen für Lastenräder oder Haltepunkte für den Fernbus denkbar. Auch geteilte Fahrzeuge können das Angebot an Mobilitätsstationen bereichern. Viele Carsharing-Angebote konzentrieren sich jedoch aus wirtschaftlichen Gründen auf städtische Gebiete. Nur selten stößt man auf Carsharing-Projekte im ländlichen Raum – dann jedoch oft als Pilotprojekte mit Beteiligung lokaler Unternehmen und Bürger*inneninitiativen. Fakt ist, dass Mischformen des Carsharings derzeit die besten Aussichten haben, das Mobilitätsangebot im ländlichen Raum nachhaltig zu erweitern. In einem Beispiel aus Thüringen können elektrische Fahrzeuge der Verwaltung, die tagsüber für Dienstgänge genutzt werden, abends und nachts von Privatpersonen gemietet werden. Das senkt die Betriebskosten für die Verwaltung und schafft einen Mehrwert für die Menschen vor Ort.
Ein Angebot für Pendler*innen
Mit Mobilitätstationen wird es so auch im ländlichen Raum einfacher, sich multimodal und intermodal zu bewegen, also das Verkehrsmittel von Tag zu Tag je nach Bedarf anders zu wählen und die individuelle Mobilitätskette aus mehreren Verkehrsmitteln zusammenzusetzen. Dadurch werden auch im ländlichen Raum Menschen unabhängiger vom eigenen Auto – sowohl der eigene Geldbeutel, als auch die Umwelt werden so entlastet. Wir wollen deshalb den Ausbau von Bahnhöfen im ländlichen Raum zu Mobilitätsstationen mit bis zu 100 Millionen Euro im Jahr fördern und mit einem Bahnhofssanierungsprogramm erreichen, dass Bahnhöfe und Haltepunkte wieder zu Visitenkarten der Städte und Gemeinden werden.
Staus und Parkplatzknappheit machen es für Berufspendler*innen immer weniger attraktiv, die komplette Strecke von der Haustür in die Innenstädte mit dem eigenen Auto zurückzulegen. Viele Städte bieten deshalb Park-and-Ride-Angebote am Stadtrand als Umstiegspunkte an. Mit Mobilitätsstationen eröffnet sich die Möglichkeit, den Einstiegspunkt in den ÖPNV möglichst weit in den ländlichen Raum zu verlegen, und so mit dem Auto gefahrene Strecken deutlich zu reduzieren.
Besser unterwegs mit dem Mobilpass
Damit Menschen die vielen Angebote der Mobilitätsstationen auch unkompliziert nutzen und kombinieren können, braucht es ein Ticketsystem, das die unterschiedlichen Angebote vom Bahnticket bis hin zum Leihfahrrad auf einer Plattform buchbar macht. Mit dem Grünen Mobilpass wollen wir das Tarifwirrwarr beenden. Über eine App oder am Automaten wird damit nur noch Start und Ziel bestimmt, ein durchgängiges Ticket wird automatisch gebucht – egal ob Fern- oder Nahverkehr, egal welcher Verkehrsverbund.
- Radverkehr: Sicher und schnell unterwegs im ländlichen Raum
Immer mehr Menschen steigen von vier Rädern auf zwei Räder um. Nicht nur in Städten erfreut sich der Radverkehr wachsender Beliebtheit, sondern auch in den Dörfern und Gemeinden. Die Voraussetzungen für mehr Radverkehr im ländlichen Raum sind bestens: Hier besitzen Haushalte teils häufiger ein Fahrrad als in der Stadt. Auch Haushalte, die ein Pedelec nutzen können, liegen häufiger im ländlichen Raum.
Doch wer außerorts Fahrrad fahren möchte, wird oft mangels Fahrradwegen auf außerörtliche Straßen gezwungen, wo Autos und Lkw mit hoher Geschwindigkeit überholen. Diese Unsicherheit verhindert, dass mehr Menschen auf Fahrräder umsteigen. Damit verspielen wir das enorme Potenzial, das Fahrräder im ländlichen Raum besitzen. Wir Grüne wollen den Radverkehr im ländlichen Raum so stärken, dass er optimal mit dem öffentlichen Verkehr vernetzt wird. Fahrräder helfen dann dabei, die nächste Mobilitätsstation zu erreichen. Denn klar ist, dass Fahrräder wegen der größeren Distanzen selten für die gesamte Strecke genutzt werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir für mehr Radschnellwege sowie für mehr Radwege an Bundesfernstraßen und an Bundeswasserstraßen sorgen. Derzeit gibt es noch nicht einmal an der Hälfte aller Bundesstraßen Radwege. Länder und Kommunen sollten dieses Angebot bestenfalls um Radstrecken an den eigenen Straßen ergänzen. Damit erhöhen wir nicht nur die Sicherheit für Fahrradfahrende, sondern verkürzen auch die Fahrzeiten. Die Bundesmittel für den Bau von Radschnellwegen sowie die Mittel für den Bau von Radwegen an Bundesfernstraßenwollen wir deutlich erhöhen und pro Jahr über 420 Mio. Euro bereitstellen.
Rad und Bahn besser verknüpfen
Um die Verknüpfung von Radverkehr und öffentlichem Verkehr zu verbessern, brauchen wir auch barrierefreie Zugänge zu Bahnhöfen und Haltestellen sowie sichere Abstellmöglichkeiten. Mit 100 Mio. Euro im Jahr wollen wir den Aufbau solcher Fahrrad-Abstellplätze auch im ländlichen Raum unterstützen. Im Rahmen des „Pakts für lebenswerte Regionen“ können Verleihangebote gefördert werden, damit auch am Zielort ein Fahrrad zur Verfügung steht. Solche Angebote erhöhen auch die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs und vergrößern seinen Radius. Wer sein eigenes Fahrrad nutzen will, soll es leichter in Zügen mitnehmen können. Wir fordern die Deutsche Bahn auf, auch in allen Zügen des Fernverkehrs Fahrradmitnahme zu ermöglichen. Nicht nur für eine bessere Alltagsmobilität, sondern auch zur Stärkung des Tourismus in ländlichen Räumen muss die Radinfrastruktur fit gemacht werden. Ein Vorbild ist der Europäische Radweg entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Von der Verbindung von historischen Orten und einer landschaftlich attraktiven Strecke profitieren die ehemaligen Grenzregionen.
- Die Bahn zurück in die Fläche bringen
Seit dem Jahr 1990 wurden in Deutschland fast 6.500 Kilometer Bahnstrecken stillgelegt. Auch die Zahl der Bahnhofe, oft Aushängeschilder von Städten und Ortschaften, ist seither gesunken. Sie wurden dem Verfall überlassen oder gar abgerissen. Wo keine Bahn mehr fährt, fühlen sich die Menschen von den Städten und Metropolen abgekoppelt.
Bahnstrecken ausbauen und reaktivieren
Wir wollen den Bahnverkehr deutschlandweit stärken und insbesondere die Anzahl der Fahrgäste bis zum Jahr 2030 mindestens verdoppeln. Eine moderne, leistungsfähige Bahn ist nicht nur Rückgrat der Verkehrswende, sondern auch die ökologischste Anbindung des ländlichen Raums an die Städte und Metropolen.
Das kann nur gelingen, wenn der Bund mehr Geld in den Neu- und Ausbau des Netzes investiert. Wir wollen diese Investitionsmittel auf zunächst drei Milliarden Euro anheben und dann schrittweise so erhöhen, dass bis zum Jahr 2030 weitere vordringliche Projekte umgesetzt werden können.
Für die ländlichen Räume wollen wir zusätzlich erreichen, vorhandene Strecken zu reaktivieren und damit ganze Regionen wieder kurz- und mittelfristig an den deutschlandweiten Bahnverkehr anzubinden. Deswegen fordern wir ein Programm zur Streckenreaktivierung, mit dem bis zum Jahr 2030 mindestens 2.000 Streckenkilometer wieder in Betrieb genommen werden.
Den Deutschlandtakt einführen und Strecken elektrifizieren
Um nicht nur in die nächste Stadt zu gelangen, sondern bundesweite Ziele zuverlässig ansteuern zu können, wollen wir den Deutschlandtakt einführen. Durch aufeinander abgestimmte Züge gibt es kürzere Fahrzeiten, günstige und zuverlässigere Umsteigemöglichkeiten in Bahnhöfen und einen dichten, leicht merkbaren Takt.
Auch die Elektrifizierung von Bahnstrecken ist eine Investition in die bessere Erreichbarkeit des ländlichen Raums. Dann können Züge, die in verdichteten Gebieten schon heute elektrisch fahren, wesentlich weiter in den ländlichen Raum hineinfahren. Wenn stattdessen dieselbetriebene Züge vorgehalten werden müssen, verschlechtert sich nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Verbindung, sondern in einigen Fällen auch die Fahrzeit aufgrund weiterer Umstiege. Wir fordern deshalb ein Elektrifizierungsprogramm, mit dem bis zum Jahr 2030 der Elektrifizierungsgrad des deutschen Eisenbahnnetzes auf 75 Prozent erhöht wird. Teil des Elektrifizierungsprogramms muss auch ein Beschaffungsprogramm für Batterie- und Wasserstoffzüge sein, die dort für elektrischen Bahnverkehr sorgen können, wo Oberleitungen auch auf Dauer fehlen oder Elektrifizierungslücken durchgängige Verbindungen verhindern.
Für dieses Elektrifizierungsprogramm brauchen wir zusätzliche Bundesmittel in einem eigenen Fördertopf und dürfen nicht, wie es die Bundesregierung plant, die Gelder aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz abzweigen, weil sie dann für den dringend erforderlichen Ausbau des Nahverkehrs fehlen.
- Elektrisch unterwegs im ländlichen Raum
Das Automobil hat für die ländliche Mobilität nach wie vor eine herausgehobene Bedeutung. Mehr als 90 Prozent der Haushalte im kleinstädtischen oder dörflichen Raum besitzt ein Auto, und damit deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt. In ländlichen Gegenden wird das Auto für bis zu 70 Prozent aller Wege genutzt, in Großstädten und Metropolen sind es deutlich weniger.
Klar ist: Auch bei einer deutlichen Stärkung der Alternativen wird das Automobil in dünnbesiedelten Gebieten weiter von Bedeutung sein. Umso wichtiger ist es, dass sie mit sauberen Antrieben unterwegs sind. Doch bislang ist Elektromobilität eher ein städtisches Thema – das muss sich ändern. Dörfer und ländliche Gemeinden dürfen nicht zum Museum für Verbrennungsmotoren werden. Wenn die Bundesregierung sensibel wird für den völlig anderen Förderbedarf in ländlichen Gebieten, wird die Elektromobilität auch hier zum Erfolg.
Damit die Elektromobilität attraktiver wird, wollen wir die Kaufprämie für reine E‑Autos verdoppeln. Über ein aufkommensneutrales Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer muss außerdem sichergestellt werden, dass klimaschädliche Spritschlucker die Prämie gegenfinanzieren, und nicht die Steuerzahler*innen. Das Förderprogramm des Bundes, mit denen Städte, Gemeinden und kommunale Betriebe ihre Fuhrparke auf elektrische Antriebe umstellen können, braucht eine zusätzliche Finanzspritze.
Ladesäulen flächendeckend aufbauen und Wildwuchs verhindern
Die Elektromobilität funktioniert nur mit verlässlichen Lademöglichkeiten. In Mehrfamilienhäusern, wie sie in Großstädten zur Regel gehören, scheitern E‑Auto-Besitzer*innen regelmäßig am Veto der Vermieter*innen oder Eigentümer*innenversammlung, wenn sie eine Wallbox installieren möchten. Im ländlichen Raum mit mehr Eigenheimen ist das oft leichter. Stattdessen ist hier die Versorgung mit öffentlicher Ladeinfrastruktur problematisch. Sie wird gebraucht, um bei längeren Strecken zwischendurch nachladen oder mangels eigenem Stellplatz überhaupt laden zu können. Doch bislang ist die Landkarte gespickt mit Leerstellen, da viele Betreiber ihre Ladestellen lieber an vielbefahrenen Hotspots in verdichteten Räumen errichten. Das Henne-Ei-Problem, das in vielen Städten oft ausgestanden ist, bleibt in vielen Dörfern und Gemeinden aktuell. Oftmals besteht die örtliche Ladeinfrastruktur aus einer einzigen Bürgermeisterladesäule vor dem Rathaus, die zwar die Sichtbarkeit der Elektromobilität erhöht, aber keinen relevanten Beitrag zur Versorgung mit Lademöglichkeiten leisten kann.
Um den Aufbau von Ladesäulen im ländlichen Raum anzukurbeln, wollen wir die Förderrichtlinie Ladeinfrastruktur modernisieren, mit dem der Bund den Bau neuer Ladesäulen bezuschusst. Denn dem Bundesverkehrsministerium ist es bislang nicht gelungen, die Leerstellen zu schließen. Wir wollen konkrete Ausbauziele auf Ebene der Gemeinden sowie differenzierte Fördersätze je nach Standort, damit eine flächendeckende Ladeinfrastruktur entsteht. Außerdem muss das Förderprogramm verdoppelt werden, um spürbare Investitionsimpulse zu setzen. Um den Wildwuchs der Bezahlmöglichkeiten an den Ladesäulen zu beenden, wollen wir die Vorgaben für den Ladesäulenbetrieb um einheitliche Standards für das E‑Roaming und Mindestanforderungen beim spontanen Laden erweitern.