Für ETCS sind später erneute Sperrungen nötig
In den letzten 30 Jahren wurden in Deutschland einige Neubaustrecken der Bahn für den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Betrieb genommen. Eine Anfrage von mir an die Bundesregierung zeigt: Es stehen einige Streckensperrungen für Sanierungsmaßnahmen an.
Aufatmen gab es im November letzten Jahres, als die 99 Kilometer lange Rennpiste zwischen Stuttgart und Mannheim nach 205 Tagen Sperrung und einer rund 45 Minuten längeren Umleitungsstrecke wieder in Betrieb ging. Weitere Streckensperrungen für Sanierungen sind absehbar. Zwischen April und Juli wird die Strecke Göttingen – Kassel vollgesperrt. Dies dürfte erhebliche Reisezeitverlängerung zur Folge haben. Fulda – Würzburg ist von Juni bis Dezember 2022 an der Reihe. Zwischen Hamburg und Berlin wurde mit viel Tamtam ein (nicht ganz durchgehender) „Halbstundentakt“ eingeführt, doch im September wird er schon wieder eingestellt – denn dann wird die Strecke bis mindestens Dezember 2021 vollgesperrt (!). Im Sommer 2024 wird die Rheintalbahn auf dem Abschnitt zwischen Raststatt und Offenburg voll gesperrt. Dies stellt nur einen kleinen Überblick über anstehende Sanierungen unter Vollsperrung dar.
Leider ist nach der Sperrung vor der Sperrung. Denn weder zwischen Stuttgart und Mannheim wurden die Sperrpausen genutzt, um diese mit der zukünftigen Zugsicherungstechnik ETCS auszurüsten, noch ist dies bei den kommenden Sanierungen vorgesehen. Dies zeigt, dass wir in Deutschland bei der Digitalisierung hinterherhinken. ETCS ist das neue Zugsicherungssystem, das die aktuellen Zugsicherungssysteme, insbesondere das auf Schnellfahrtstrecken ablösen wird. Zudem würde ETCS die Tunnelbegegnungsverbote besser umsetzen lassen. In den Tunnelanlagen ohne fahrtrichtungsgetrennte Röhren dürfen sich aus Sicherheitsgründen keine Personen- und Güterzüge begegnen. Mit ETCS könnte sich diese Sicherheitsanforderung einfacher und mit geringeren Kapazitätsverlusten umsetzen. Das Trostpflaster für die erneuten Sperrungen: Sie werden voraussichtlich weniger lange sein, denn der größte Teil der Umrüstung auf das neue Sicherungssystem benötigt keine Vollsperrung der Strecke.
Stuttgart – Mannheim
Die Trassierung der Strecke ermöglicht eine maximale Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometer. Eisenbahntechnisch ausgerüstet ist sie für Tempo 280. Diese Geschwindigkeit wird heute nur im Verspätungsfall ausgefahren. Eine Erhöhung der Geschwindigkeit im Regelfall könnte helfen, die für einen integralen Taktfahrplans etwas unpassende Fahrzeit von knapp über einer halben Stunde zu senken. Aktuell ist jedoch eine solche Erhöhung auf 280 oder 300 Stundenkilometer nicht geplant. Dafür gibt die Deutsche Bahn an, dass die erhöhte Fahrzeit die Kapazität reduzieren würde. Dies liegt unter anderem an den IRE-Zügen, die die Strecke ebenfalls in Teilen befahren. Zudem muss berücksichtigt werden, dass der Energieverbrauch ansteigt, bei 300 Stundenkilometer im Vergleich zu 250 Stundenkilometer um 31 Prozent. Auch die damals noch üblichen Tunnels ohne fahrtrichtungsgetrennte Röhren könnten ein Problem sein.
Die notwendige Fahrzeitverkürzung für den Deutschlandtakt auf möglichst knapp unter 30 Minuten soll also nicht durch höhere Geschwindigkeiten auf der Neubaustrecke erreicht werden. Vielmehr ist vorgesehen, die in Stuttgart-Zuffenhausen endende Neubaustrecke in Form zusätzlicher Gleise in Richtung Hauptbahnhof zu verlängern, um länger mit Tempo 280 (Deutsche Bahn: „mindestens 280 km/h“) fahren zu können. Außerdem ist ein Ausbau m Bahnhof in Mannheim vorgesehen, um dort schnellere Ein- und Ausfahrten zu ermöglichen. Womöglich wäre es aber sinnvoll, die bestehende Strecke auf 300 Stundenkilometer umzubauen, um den integralen Taktfahrplans besser umsetzen zu können oder Verspätungen abzubauen zu können.