Für Diplomatie, Sanktionen – und Waffen
Immer wieder bekommen wir Zuschriften, in denen wir zu „Frieden schaffen ohne Waffen“ aufgefordert werden und festgestellt wird, dass Krieg keine Lösung sei. Bei aller Sympathie für diese Einstellungen (auch ich war früher oft auf Ostermärschen und die Sorge um den Frieden war ein Grund, dass ich mich Ende der 1980er-Jahre den Grünen angeschlossen habe) muss man leider mit Blick auf die grausame Realität feststellen: Der Krieg tobt bereits. Er tobt in äußerster Brutalität. Der Aggressor steht mehr als in vielen anderen Kriegen eindeutig fest. Es war und ist Russland auf Veranlassung Putins, das die Ukraine überfallen hat. Es sind Putins Truppen, die schwerste Kriegsverbrechen begehen.[1]
Er lässt leider nicht mit sich reden. Die Waffen schweigen leider nicht, auch wenn wir uns dies noch so sehr wünschen. Diplomatie hat bei Putin bedauerlicherweise keine Chance, wenngleich die diesbezüglichen Bemühungen ununterbrochen weiterlaufen.
Sprüche klopfen hilft uns nicht aus dem brutalen Krieg heraus und verhindert auch keine Ausweitung auf andere Regionen. Wir entscheiden nicht darüber, ob wir einen Krieg beginnen. Wir entscheiden aber mit darüber, ob sich mit Putins Krieg das Recht oder das Unrecht durchsetzt. In einer solchen Situation kann es keine Neutralität geben. Es gilt, Farbe zu bekennen und sich entschlossen auf die Seite des Rechts zu stellen. Es ist hart, aber wir kommen nicht ohne Waffenlieferungen an die Ukraine aus, wenn sie sich selbst verteidigen können soll. Damit verteidigt sie auch unsere Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Putin nicht zu achten bereit ist. Würde Putin den Krieg militärisch gewinnen, müssten weitere ehemalige Sowjetrepubliken und deren ehemalige Verbündete um ihre Souveränität bangen. Der russische Generalmajor Minnekajew wird von russischen Nachrichtenagenturen mit der Aussage zitiert, man wolle nach dem Süden der Ukraine auch die Republik Moldau einnehmen. Übrigens beobachtet auch China angesichts des eigenen Konfliktes mit Taiwan sehr genau, wie die westlichen Staaten mit Putins Russland verfahren.
Angesichts dieser Lage bin ich neben dem weiteren Verschärfen der Sanktionen und dem Fortführen aller diplomatischen Bemühungen dafür, der Ukraine weiter Waffen zu liefern, darunter auch sog. schwere Waffen.
Bedauerlicherweise hat „der Westen“, hat auch Deutschland, schwere Fehler gemacht: Über viele Jahre wurde Putin hofiert, wurde die Abhängigkeit von Energieträgern und Rohstoffen aus Russland vergrößert (was nun sehr schnelle, durchgreifende Sanktionen erschwert) und das unsinnige und von uns Grünen bekämpfte Projekt Nord Stream 2 vorangetrieben. Diese Fehler und Versäumnisse können aber nicht über die Verantwortung für den Krieg hinwegtäuschen. Putin hat mit seiner Armee die Ukraine überfallen, Völkerrecht gebrochen und er alleine trägt zusammen mit denen, die ihn aus seinem Land heraus unterstützen, die Schuld für alle Toten und das Elend. Daher stehe ich zu weiteren Verschärfungen der Sanktionen und auch zu den Waffenlieferungen. Letztere bedeuten nicht, dass Länder wie Deutschland damit Kriegspartei werden.[2] Wir werden alles vermeiden, was uns Kriegspartei werden lassen könnte.
„Die Grünen sind doch eine pazifistische Partei“
Mit dieser Aussage werden wir und werde auch ich in diesen Tagen immer wieder konfrontiert. Dazu zwei Anmerkungen: Erstens hattendie Grünen von Anfang an einen pazifistischen Flügel. Sie waren aber zugleich auch Menschenrechtspartei und standen und stehen bis heute für das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein. Daraus ergab sich immer wieder ein Spannungsfeld, in dem eine Antwort gesucht werden musste. Darauf baut die zweite Anmerkung auf: Wir machen Realpolitik. Das bedeutet, dass das eigene Verhalten und die politische Verantwortung immer wieder an der aktuellen Lage ausgerichtet werden müssen.[3] Grundüberzeugungen sind nicht dazu da, dass man Realitäten damit ausblendet und sich die bestehende Welt so malt, wie man sie gerne hätte. Grundüberzeugungen dienen vielmehr dazu, besonders kritisch mit Entwicklungen umzugehen, die diesen widersprechen und über den Umgang mit konkreten, akuten Situationen hinaus Politik langfristig entsprechend zu gestalten. Das mache ich beispielsweise, indem ich Mitglied der Parlamentskreis Atomwaffenverbot geworden bin.
Der Antrag der Ampel-Koalition
Die drei Koalitionsfraktionen haben sich auf einen umfassenden Antrag verständigt. In diesem bekennt sich die Koalition klar zur Unterstützung der angegriffenen Ukraine durch Diplomatie, Sanktionen gegen Russland und die Bereitschaft zur Lieferung auch schwerer Waffen (Ringtausch und Prüfung der Abgabe weiterer Waffen). Zugleich wird deutlich gemacht, dass weder Deutschland noch die NATO zur Kriegspartei werden dürfen. Einige konkrete Inhalte des Antrags: Embargo für Kohle-Importe aus Russland, schnellstmöglicher Ausstiegsfahrplan für russische Öl- und Gasimporte, Aufnahme und Integration weiterer Flüchtlinge und Unterstützung von Ländern wie Moldau und Georgien bei der Aufnahme Geflüchteter, Dokumentation von Kriegsverbrechen, Asylangebote für desertierte russische Soldaten sowie Unterstützung der NATO-Mitgliedschaften von Schweden und Finnland.
[1] So spricht beispielsweise das Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte von immer mehr Anzeichen für Kriegsverbrechen durch russische Truppen. Die NGO „Human Rights Watch“ berichtet auf Ihrer Homepage: „Russische Streitkräfte haben während ihrer Besetzung von Butscha, einer Stadt etwa 30 Kilometer nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew, vom 4. bis 31. März 2022 eine ganze Reihe mutmaßlicher Kriegsverbrechen begangen.“ Berichtet wird über derartige Verbrechen in Russland nicht. Ganz im Gegenteil, kritische Berichterstattung wird brutal unterbunden, wie „Reporter ohne Grenzen“ auf ihrer Homepage schreiben: „Die russischen Behörden betreiben eine regelrechte Hetzjagd, um die wenigen einheimischen Journalistinnen und Journalisten zum Schweigen zu bringen, die es überhaupt noch wagen, entgegen der vorherrschenden Propaganda über den von Russland in der Ukraine angezettelten Krieg zu berichten.“ In Russland darf noch nicht einmal ungestraft das Wort „Krieg“ in den Mund genommen werden.
[2] Andere Länder, wie vermutlich Tschechien, liefern schon länger auch schwere Waffen, ohne dadurch Kriegspartei geworden zu sein.
[3] Für die Wähler*innen der Grünen ist dies mehrheitlich womöglich gar nicht so schwierig: Sie unterstützen einer Forsa-Umfrage zufolge zu 72 Prozent die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.