Von Steuern, Umgang mit der Türkei, TTIP und CETA sowie Koalitionsdebatten

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Nominierung 28.06.2016

Archiv­bild von der Nomi­nie­rungs­ver­samm­lung.

22.07.2016

Auf der Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung (KMV) des Kreis­ver­ban­des der Grü­nen Ess­lin­gen habe ich aus Ber­lin berich­tet. Es folg­te eine leb­haf­te Dis­kus­si­on. Hier eine Wie­der­ga­be mei­nes Berich­tes:

 

Steuerpolitik

Wir füh­ren auf Ebe­ne der Bun­des­par­tei und der Bun­des­tags­frak­ti­on eine hef­ti­ge Debat­te über die Steu­er­po­li­tik und die Fra­ge, mit wel­chen For­de­run­gen wir in den Bun­des­tags­wahl­kampf zie­hen wol­len. Zunächst mal zur Aus­gangs­la­ge: Der Staat ist wei­ter hoch ver­schul­det, näm­lich mit über zwei Bil­lio­nen Euro. Hin­zu kommt eine ver­nach­läs­sig­te Infra­struk­tur aus löch­ri­gen Stra­ßen, Wegen und Schie­nen­we­gen, sanie­rungs­be­dürf­ti­gen Brü­cken und Gebäu­den. Auch das ist eine Ver­schul­dung, wenn auch eine ver­steck­te. Dann haben wir sehr ungleich und immer unglei­cher ver­teil­te Ver­mö­gen und jun­ge Men­schen haben – abhän­gig von ihrer Her­kunft – sehr unglei­che Chan­cen auf beruf­li­che und damit wirt­schaft­li­che Teil­ha­be. Außer­dem gibt es in unse­rer Fami­li­en­po­li­tik absur­de Din­ge wie das Ehe­gat­ten­split­ting, das uns 20 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr kos­tet, aber immer sel­te­ner dem Auf­wach­sen von Kin­dern zugu­te­kommt. Gera­de für uns Grü­ne kommt noch ein wei­te­res The­ma hin­zu: Die öko­lo­gisch schäd­li­chen Sub­ven­tio­nen. Sol­che Din­ge wie die Steu­er­ver­güns­ti­gung von Die­sel­kraft­stoff kos­ten uns nach Berech­nun­gen des Umwelt­bun­des­am­tes in der Sum­me 50 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr.

In der inner­par­tei­li­chen Debat­te haben wir gera­de vier Bau­stel­len: Wir dis­ku­tie­ren die Ver­mö­gens­be­steue­rung (Ver­mö­gen­steu­er und Erb­schaft­steu­er), den Abbau von öko­lo­gisch schäd­li­chen Sub­ven­tio­nen sowie die Ein­füh­rung einer Umwelt­ab­ga­be auf Kunst­stof­fe, Ver­än­de­run­gen an der Ein­kom­men­steu­er (ins­be­son­de­re des Ehe­gat­ten­split­tings) und Maß­nah­men zur Bekämp­fung der Steu­er­flucht.

Die Par­tei hat­te eine Koor­di­nie­rungs­grup­pe zur Finanz- und Steu­er­po­li­tik ein­ge­rich­tet, die kürz­lich ihren Abschluss­be­richt vor­ge­legt hat. Eini­ge For­de­run­gen, die uns dann auch im Zusam­men­hang mit der Erstel­lung des Wahl­pro­gram­mes beschäf­ti­gen wer­den, möch­te ich hier nen­nen: Das Dienst­wa­gen­pri­vi­leg für Sprit­schlu­cker soll abge­schafft wer­den, die Die­sel­sub­ven­tio­nen sol­len zurück geführt wer­den und die Ein­kom­men­steu­er auf Ein­kom­men von min­des­tens 100.000 Euro pro Jahr für Sin­gles soll hoch­ge­setzt wer­den. Die Ein­füh­rung einer Ver­mö­gen­steu­er wur­de strit­tig gestellt. Auf der Gegen­sei­te soll in Bil­dung und Infra­struk­tur inves­tiert wer­den. Der Betrag für Sofort­ab­schrei­bun­gen soll hoch­ge­setzt wer­den, was den Unter­neh­men zugu­te­kommt und Büro­kra­tie abbaut. Außer­dem wol­len wir For­schungs­in­ves­ti­tio­nen bes­ser steu­er­lich absetz­bar machen.

Zu den Vor­schlä­gen: Eine Erhö­hung der Besteue­rung von Ver­mö­gen hal­te ich für rich­tig. Ich möch­te aber, dass wir uns dabei auf die Erb­schaft­steu­er kon­zen­trie­ren. Denn die­se ist eine exis­tie­ren­de Steu­er, die ohne­hin nach den Vor­ga­ben des Ver­fas­sungs­ge­rich­tes refor­miert wer­den muss. Eine Ver­mö­gen­steu­er hin­ge­gen über­zeugt mich nicht. Sie wür­de sehr viel Auf­wand mit sich brin­gen, weil die Ver­mö­gens­wer­te jähr­lich, min­des­tens aber alle zwei bis drei Jah­re, neu bewer­tet wer­den müss­ten, was zu sehr viel Ärger füh­ren wür­de. Bei der Erb­schaft­steu­er wäre dies nur ein­mal pro Gene­ra­ti­on der Fall. Außer­dem fin­de ich, dass wir uns mehr auf öko­lo­gisch wirk­sa­me Steu­ern kon­zen­trie­ren soll­ten. Das passt schlicht­weg bes­ser zu uns Grü­nen. Damit könn­ten wir uns von SPD und Lin­ken abset­zen und unser öko­lo­gi­sches Pro­fil schär­fen.

 

Türkei

Mit gro­ßer Sor­ge schau­en wir auf die Ent­wick­lun­gen in der Tür­kei. Das Land ist unter Erdo­gan auf dem Weg in eine Dik­ta­tur.

Ob der Putsch von Erdo­gan initi­iert war oder er vor­ab von den Plä­nen wuss­te und sich damit recht­zei­tig dar­auf vor­be­rei­ten konn­te, wis­sen wir nicht. Auf­fäl­lig aber ist, dass er bin­nen Stun­den und Tage 50.000, viel­leicht sogar 60.000 Staats­be­diens­te­te ent­las­sen konn­te. Er hat­te sich also offen­bar auf die­sen Schritt vor­be­rei­tet. Erdo­gan nutzt den Putsch, um sei­ne Macht aus­zu­bau­en. Er schal­tet sei­ne Geg­ner aus, schwächt die Rech­te der Oppo­si­ti­on, schränkt die Pres­se­frei­heit und das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung immer wei­ter ein und hat nun auch noch den Aus­nah­me­zu­stand aus­ge­ru­fen. Selbst die Wie­der­ein­füh­rung der Todes­stra­fe ist für ihn kein Tabu. All das sind schlech­te Zei­chen für das Land und sei­ne Men­schen. Was kön­nen, was müs­sen die Kon­se­quen­zen der EU und Deutsch­lands sein? Die Ein­fluss­mög­lich­kei­ten sind nicht all­zu groß. Doch die bestehen­den müs­sen genutzt wer­den: Die EU-Bei­tritts­ver­hand­lun­gen müs­sen gestoppt wer­den, so lan­ge Erdo­gan nicht ein­lenkt. Das, was Erdo­gan macht, wider­spricht fun­da­men­tal den Wer­te­vor­stel­lun­gen der EU. Wer den Rechts­staat und die Demo­kra­tie demon­tiert hat nichts in der EU, die auch eine Wer­te­ge­mein­schaft sein will und sein muss, ver­lo­ren. Der Flücht­lings­pakt inklu­si­ve der Visa­frei­heit wird mit einem der­art unzu­ver­läs­si­gen Ver­trags­part­ner nicht umge­setzt wer­den kön­nen. Und die Bun­des­wehr­ein­hei­ten, die in der Tür­kei sta­tio­niert sind, wer­den zurück geru­fen wer­den müs­sen. Denn die Bun­des­wehr ist eine Par­la­ments­ar­mee. Wenn aber Abge­ord­ne­te des Deut­schen Bun­des­ta­ges ihre Bun­des­wehr nicht besu­chen dür­fen, gibt es kei­ne Recht­fer­ti­gung mehr für deren Ver­bleib. All dies heißt aber nicht, dass alle Gesprächs­ka­nä­le mit der Tür­kei abge­bro­chen wer­den sol­len. Im Gegen­teil. Wir kom­men nicht umhin, ja, wir müs­sen jede Mög­lich­keit nut­zen, durch Gesprä­che mit der Tür­kei, inklu­si­ve Erdo­gan, auf einen Kurs­wech­sel hin­zu­wir­ken.

 

TTIP und CETA

TTIP, das Frei­han­dels­ab­kom­men mit den USA, liegt noch nicht voll­stän­dig vor. Es ist nicht damit zu rech­nen, dass es noch im lau­fen­den Jahr einen voll­stän­dig aus­ver­han­del­ten Ver­trags­text geben wird. Aber immer wie­der kom­men neue Ver­trags­tex­te hin­zu. Vor weni­gen Tagen bei­spiels­wei­se zur Ener­gie­po­li­tik. Die­ser ist höchst pro­ble­ma­tisch, weil er die Bevor­zu­gung bestimm­ter Ener­gie­trä­ger unter­bin­den soll. Das wäre schlecht für den Ein­spei­se­vor­rang und die Ein­spei­se­ver­gü­tung erneu­er­bar erzeug­ten Stroms. Unklar ist noch, ob TTIP durch die natio­na­len Par­la­men­te rati­fi­ziert wer­den muss. Dies hängt davon ab, ob es sich um ein „gemisch­tes“ Abkom­men han­delt, ob es also mehr als ein Han­dels­ab­kom­men ist. Für Letz­te­res wäre allei­ne die EU zustän­dig. Für uns Grü­ne im Bun­des­tag ist ziem­lich sicher, dass wir TTIP wegen der bereits bekann­ten Ver­trags­in­hal­te ableh­nen wer­den.

Im Gegen­satz zu TTIP liegt für CETA, das Frei­han­dels­ab­kom­men mit Cana­da, ein fer­tig ver­han­del­ter und inzwi­schen in die deut­sche Spra­che über­setz­ter Ver­trags­text vor. Klar ist, dass zumin­dest Tei­le „gemischt“ sind und durch die natio­na­len Par­la­men­te wie den Deut­schen Bun­des­tag rati­fi­ziert wer­den müs­sen. Und den­noch kann es sein, dass CETA in wei­ten Tei­len allei­ne durch die EU-Ebe­ne in Kraft gesetzt wird. Eine Abstim­mung im Deut­schen Bun­des­tag (ggf. nur über die „gemisch­ten“ Tei­le des Ver­tra­ges) wird erst nach der Bun­des­tags­wahl erfol­gen. Eine Ableh­nung durch die Bun­des­tags-Grü­nen gilt als sehr wahr­schein­lich (wir wis­sen ja aber noch nicht, ob wir über CETA als Gesam­tes oder ein­zel­ne Tex­te abstim­men dür­fen!).

 

Koalitionsdebatten

Mich ner­ven die Debat­ten, ob wir Schwarz-Schwarz-Grün oder Rot-Grün-Rot wol­len oder eines von bei­den ableh­nen. Für mich stellt sich die Sache recht ein­fach dar: Die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler ent­schei­den sich für die Par­tei­en, die ihnen inhalt­lich oder von den Köp­fe her am bes­ten gefal­len. Dar­aus erge­ben sich rech­ne­ri­sche Mög­lich­kei­ten. Dann ist es die Auf­ga­be der Par­tei­en, mög­li­che Bünd­nis­se anhand der Inhal­te, aber auch aus ihrer staats­po­li­ti­schen Ver­ant­wor­tung her­aus aus­zu­lo­ten – oder aber die Oppo­si­ti­on zu wäh­len. Vor einer Wahl schon zu sagen, wel­che Koali­ti­on man unbe­dingt will und wor­auf man sich kei­nes­wegs ein­las­sen möch­te macht kei­nen Sinn. Zumal die Regie­rungs­bil­dung durch die AfD – sie­he die drei Land­tags­wah­len vom März – immer schwie­ri­ger und unab­seh­ba­rer wird. Wir sind als Grü­ne daher gut bera­ten, einen grü­nen Wahl­kampf zu füh­ren, ohne zur CDU/CSU oder zu SPD und Lin­ken zu schie­len. Wir soll­ten ein grü­nes Pro­gramm auf­stel­len, ohne schon mög­li­che Kom­pro­mis­se mit Schwarz oder Rot im Hin­ter­kopf zu haben. Es gilt also, mit einem guten grü­nen Pro­gramm für star­ke Grü­ne zu wer­ben, um dann ent­we­der mit einer star­ken Ver­hand­lungs­ba­sis in Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ein­tre­ten oder aber eine wir­kungs­vol­le Oppo­si­ti­ons­rol­le ein­neh­men zu kön­nen.

 

Wahlkampfschwerpunkte

Ich hof­fe auf fol­gen­de drei Schwer­punk­te im Wahl­kampf:

  1. Öko­lo­gisch Wirt­schaf­ten: Wir müs­sen auf­zei­gen, dass sich Wohl­stand sichern lässt, ohne dass wir die Umwelt so stark belas­ten wie bis­her. Wir brau­chen Wege zur Dekar­bo­ni­sie­rung von Wirt­schaft und Ver­kehr und die Scho­nung der end­li­chen Res­sour­cen unse­res Pla­ne­ten.
  2. Gerech­tig­keit: Es gilt die Insti­tu­tio­nen wie Kitas, Schu­len, Unis, aber auch die Erwach­se­nen­bil­dung mas­siv zu stär­ken. Das schafft mehr Chan­cen­ge­rech­tig­keit in unse­rer Gesell­schaft.
  3. Offe­ne Bür­ger­ge­sell­schaft: Wir ste­hen für Bür­ger­rech­te, die Rech­te der Min­der­hei­ten und einen wir­kungs­vol­len Daten­schutz.

Dies sind die The­men, bei denen wir eine hohe Glaub­wür­dig­keit besit­zen. Das sind aber auch die The­men, mit denen wir uns klar von ande­ren Par­tei­en abgren­zen kön­nen. Dies soll­ten wir im Wahl­kampf nut­zen.