31.01.2018
Fragen und Antworten
Weshalb sehen die Grünen Stuttgart 21 so kritisch?
Dafür gibt es viele Gründe, insbesondere verkehrliche und finanzielle.
Der im Bau befindliche Tiefbahnhof soll über nur acht Gleise verfügen und den Kopfbahnhof mit seinen 16 Gleisen ersetzen. Wir sehen Kapazitätsengpässe und eine aus mehreren Gründen eingeschränkte betriebliche Flexibilität. Der Tiefbahnhof weist kaum die Kapazität auf, um auch mal einen Zug etwas länger als geplant auf Fahrgäste verspäteter Züge warten zu lassen. Damit ist er nicht tauglich für den integralen Taktfahrplan eines Deutschland-Taktes. Mit der Erteilung der Betriebsgenehmigung ist aufgrund der Wegrollrisiken auf den stark geneigten Gleisen mit weiteren betrieblichen Einschränkungen zu rechnen.
Es wird also ein Bahnhof für sehr viel Geld gebaut, der – so wie geplant – nicht ansatzweise halten kann, was einst versprochen wurde. Er ist in dieser Form nicht zukunftsfähig, weil er keine Perspektive für wachsende Fahrgastzahlen und moderne, fahrgastfreundliche Betriebskonzepte bietet.
Was haben die Grünen gegen Stuttgart 21 unternommen?
Die Grünen haben Stuttgart 21 bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf allen entscheidenden Ebenen (Bund, Land, Region und Landeshauptstadt) abgelehnt. Wir haben vor verkehrlichen Unzulänglichkeiten und unrealistischen Kostenangaben gewarnt. Ich selber kann mich erinnern, wie ich in einer Haushaltsrede als Filderstädter Stadtrat bereits Mitte der 1990er-Jahre S 21 zum Thema gemacht und für ein Ende des Projektes geworben hatte.
Wir Grüne haben im Aktionsbündnis mitgearbeitet. Im Vorfeld der Volksabstimmung hatten wir aktiv, mit hohem finanziellem wie personellem Einsatz, für das „Ja“ zum Ausstieg des Landes aus dem Finanzierungsvertrag geworben. Leider ging diese sehr wichtige Abstimmung für uns verloren.
Weshalb beziehen sich die Grünen immer wieder auf die Volksabstimmung?
Als die Landtagswahl im Jahr 2011 eine Mehrheit für Grüne und SPD erbrachte, standen die unterschiedlichen Meinungen zu Stuttgart 21 einem gemeinsamen Regierungsbündnis im Wege. Als Ausweg wurde die Volksabstimmung in die Wege geleitet. Beide Parteien waren sich einig und versprachen sich gegenseitig und der Öffentlichkeit, das Votum, sollte es auch knapp ausgehen oder die Wahlbeteiligung geringer ausfallen als erhofft, ohne Wenn und Aber zu akzeptieren.
Es wurde über den Landesanteil in Höhe von knapp 931 Millionen Euro abgestimmt. Unsere, gemeinsam mit dem Aktionsbündnis und unzähligen lokalen Bündnissen vorgetragenen Argumente hatten leider keine Mehrheit überzeugt. Das Votum ist fürs Land bindend.
Da sowohl Grün-Rot wie auch Grün-Schwarz den Finanzierungsvertrag so deuteten bzw. deuten, dass sich daraus ein Kostendeckel ablesen lässt und diese Lesart wurde in beiden Koalitionsverträgen festgeschrieben und frühzeitig und mehrfach der Deutschen Bahn übermittelt wurde, ist auch heute noch von einem Landesanteil von den besagten knapp 931 Millionen Euro auszugehen. Das Land wird sich an keinen Kostensteigerungen für das Projekt, wie es im Finanzierungsvertrag definiert wurde, beteiligen. Die Deutsche Bahn will ihre davon abweichende Auffassung rechtlich klären lassen.
Lässt sich Stuttgart 21 noch stoppen?
Das Projekt ist so gestrickt, dass ein Ausstieg inzwischen rechtlich und technisch nicht mehr realistisch umsetzbar ist. Die beteiligten Projektpartner Deutsche Bahn, Land, Landesflughafen Stuttgart, Verband Region Stuttgart und die Landeshauptstadt Stuttgart haben zudem unterschiedliche Interessen und bereits jede noch so kleine Änderung bedarf der Einstimmigkeit aller Projektpartner. So liegt das Hauptinteresse der Stadt Stuttgart darin, so schnell wie möglich die massiven Einschränkungen ihrer Bürgerinnen und Bürger durch die Großbaustelle zu überwinden und das Gleisvorfeld im vertraglich festgehaltenen Umfang für eine Überplanung frei zu bekommen. In keinem der demokratisch gewählten Gremien der Projektpartner gab es jemals auch nur ansatzweise eine Mehrheit für die Beendigung des Projektes. Eine solche Mehrheit gab es auch nicht im Jahr 2012/2013 bei der Kostensteigerung von 4,5 auf 6,5 Milliarden Euro, als das Projekt noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute. Es war ein schwerer Fehler, dass das Projekt nicht spätestens damals auf Initiative der Deutschen Bahn und des Bundes gestoppt wurde.
Außerdem rächt es sich, dass S 21 immer als “alternativlos” betrachtet wurde. Es gibt also keine Alternative, mit deren Bau ohne langjährige Planungsphasen begonnen werden könnte.
Der Blick auf diese traurigen Realitäten macht deutlich, dass ein Ausstieg nicht realistisch ist. Ich setze meine Kraft nun dafür ein, vor dem Hintergrund der nicht vorhandenen Deutschlandtakt-Fähigkeit des Bahnknotens Stuttgart bei der Kapazitätsfrage nachzubessern. Da lässt sich nach meiner Überzeugung noch am ehesten etwas bewegen. Es geht darum, die Realitäten zu sehen und das zu tun, was jetzt noch machbar ist. Man wird nichts bewegen, wenn man nur gegen das Projekt schießt. Man kann aber etwas erreichen, wenn man für Änderungen streitet. In der Politik muss man immer wieder hinterfragen, wofür man seine Kräfte einsetzt. Das macht man am besten dort, wo noch Veränderungen möglich erscheinen.
Kann Stuttgart 21 jemals funktionieren?
Stuttgart 21 wird nie so werden, wie es sein könnte, wenn man von Anbeginn an vernünftig, nämlich nach fachlichen Kriterien, geplant hätte. Aber wir wollen versuchen, wenigstens die gravierendsten Mängel zu beheben oder zumindest zu lindern. Dafür braucht es Mehrheiten und eine verlässliche Finanzierung.
Ein “gutes Ende” kann es nicht mehr geben. Aber vielleicht ein Ende, das nicht mehr ganz so große Defizite aufweist wie das, was gerade gebaut wird. Einige Verbesserungen sind beschlossen, so an der Rohrer Kurve. Andere befinden sich in der Diskussion, so für zusätzliche Kapazitäten in der Stadtmitte.
Wir müssen vermeiden, dass Stuttgart 21 zum Kollaps des Schienenverkehrs führt. Diese Diskussionen und Entscheidungen für größere Kapazitäten zu Gunsten des Fern- und Regionalverkehrs sowie die S‑Bahn Stuttgart brauchen wir genauso wie die Klärung der Finanzierung durch die Verantwortungsübernahme des Bundes. Es gilt zu verhindern, dass die steigenden Mehrkosten den bundeseigenen Bahnkonzern dazu zwingen, für andere und diesmal sinnvolle Projekte die notwendigen Investitionen zu unterlassen.
Wird der Tiefbahnhof von Stuttgart 21 überhaupt eine Betriebsgenehmigung erhalten?
Die Sorge um die Erteilung einer Inbetriebnahme-Genehmigung habe ich nicht. Das ist eine Frage der Auflagen aufgrund von Brandschutz, Entfluchtung und Gleisneigung. Diese wiederum können aber die Kapazität beeinflussen und zum Problem werden. Auch deshalb ist es so wichtig, Lösungen für die Kapazitätsfragen in Stuttgart und entlang der Zulaufstrecken zu finden.
Weiterführende Links
Gedanken zu Stuttgart 21 (2014): https://www.matthias-gastel.de/artikel/mein-engagement-dagegen-und-die-volkabstimmung/
Die „kritische Begleitung“ mit Leben gefüllt (Übersicht über parlamentarische Initiativen): https://www.matthias-gastel.de/die-kritische-begleitung-von-stuttgart-21-geht-weiter/#.WnAG6U2ovIU