16.08.2020
Viele Gespräche entlang der Wege
Meine inzwischen 12. Drei-Tages-Wanderung durch den Wahlkreis bzw. die Region führte mich – mal alleine, jedoch meist in Begleitung – zunächst zu „Radsport Fischer & Wagner“ in Kirchheim unter Teck.
„Radsport Fischer & Wagner“ in Kirchheim
Das Fachgeschäft mit seinen neun Beschäftigten erlebte in den letzten Wochen und Monaten, was die ganze Fahrrad-Branche erlebte: Eine rege Nachfrage nach Rädern. Das Fahrrad war schon vor Corona „in“ und erlebt derzeit einen wahren Boom. Das Lager ist leer, die Verkaufsfläche weist Lücken auf. Kunden müssen auf einige neue Fahrräder, die nicht aus dem Ladenbestand heraus sofort verfügbar sind, bis zu sechs Monate lang warten. Auch ein Teil des Zubehörs wie Fahrradhelme ist weitgehend ausverkauft. Pedelecs machen inzwischen geschätzt 60 bis 70 Prozent der Nachfrage aus, Tendenz weiter steigend. Für S‑Pedelecs gilt dies nicht. Zwar lassen sich Kunden gerne über die schnelleren E‑Bikes informieren, greifen aber wegen der wenig praxistauglichen Verkehrsregeln eher selten zu.
Überrascht war ich darüber, dass ein Fachgeschäft dieser Größenordnung in drei Berufen ausbildet, nämlich Zweiradmechatroniker, Fahrradmonteur und Einzelhandelskaufleute.
Weltladen Kirchheim
Viele Produkte (Lebensmittel, Kunsthandwerk, Bekleidung, Bücher), ein Ziel: Fairer Handel in einer gleichberechtigten Partnerschaft des Nordens mit dem Süden. Dazu tragen Bildungs- und Informationsveranstaltungen bei. Der Weltladen Kirchheim gehört mit einer Verkaufsfläche von 100 Quadratmetern zu den eher größeren und mit seinen 35 bis 40 Ehrenamtlichen, die von wenigen in geringfügigem Umfang Angestellten vieles ins Laufen gebracht haben und am Laufen halten. Der Laden ist an sechs Wochentagen geöffnet.
Mit der Beteiligung an der Aktion #fairwertsteuer gibt der Laden die Mehrwertsteuer-Absenkung an einen Fonds zur Unterstützung von Handelspartnern weiter, die besonders von der Krise betroffen sind. Hintergrund ist, dass viele Handelspartner besonders stark von der Coronakrise betroffen sind, weil es Ausgangssperren gibt und Transportwege gestört sind.
In großer Hitze begann jetzt die Wanderung „so richtig“. Es ging vorbei am Flugplatz Hahnweide und unweit der Bürgerseen überwiegend durch den Wald auf gezielt gewählten Umwegen nach Dettingen Teck.
Wasserschlössle
Die Familie Ensinger produziert schon seit dem Jahr 1901 Strom aus Wasserkraft. In der kleinen Gemeinde Owen mit 3.500 Einwohnerinnen und Einwohnern ist das Familienunternehmen „EWO“ (Elektrizitätswerk Owen) für fast alles zuständig, was mit Strom zu tun hat: Sie produzieren den Strom fürs Dorf in insgesamt vier Wasserkraftwerken – teils eigene, teilweise gepachtete – mit einer Gesamtleistung von 350 Kilowatt. Das Stromnetz und auch die Straßenbeleuchtung gehören dem lokalen Unternehmen. Auch die familieneigene Mühle (mit Mühlenladen) wird mit dem Wasserstrom betrieben. Bestrebungen der viel, viel größeren EnBW, die Stromversorgung im Ort federführend zu übernehmen, konnte die Familie stets abwehren. Allerdings muss ein großer Teil des Stroms von außen zugekauft werden. Der Strombedarf des Ortes liegt bei jährlich 14 Millionen Kilowattstunden. Zwei davon werden durch die Kleinwasserkraftwerke gedeckt. Hinzu kommt die Photovoltaik, die nochmal einen ähnlichen Beitrag liefert (Tendenz steigend).
Eines der Wasserkraftwerke, das „Wasserschlössle“ in Dettingen, unweit von Owen, habe ich mir gemeinsam mit anderen Interessierten angeschaut. Markant ist das Gebäude mit seinem Türmchen. Darin befindet sich Wasser der Lauter, sozusagen für den Druckausgleich. Denn die Zuleitung erfolgt nicht, wie bei den anderen Wasserkraftwerken, durch einen Kanal, sondern durch ein Rohr. Der Höhenunterschied liegt bei stolzen 13 Metern. Wie uns erklärt wurde, macht sich die Klimakrise deutlich bemerkbar. Die Quellen schütten unregelmäßiger und im Sommer weniger Wasser aus. Aktuell lief nur die kleinere der beiden Turbinen, die beide aus dem Jahr 1921 stammen. Dabei wurden an der Laute einst viele Wasserkraftwerke betrieben, da deren Wassermenge als stetig und zuverlässig galt.
Der Betreiber brauchte darüber hinaus auch seinen Ärger über die Verantwortungslosigkeit mancher Zeitgenossen vor: Im Rechen des Kleinkraftwerks fänden sich regelmäßig Müll wie Flaschen, Hundekottüten und Gartenschnitt. Das sollte alles nicht sein und macht das Leben derer, die ohnehin mit der Wirtschaftlichkeit ihrer Anlagen zu kämpfen haben, nicht einfacher.
Nun folgte der anstrengendste Abschnitt unserer Wanderung, nämlich in der Bruthitze hinauf auf den Teckberg. Dort wurde in der Herberge des Schwäbischen Albvereins, dessen Mitglied ich bin, übernachtet. Die Sicht aus dem Fenster meines Zimmers war atemberaubend. Ich konnte den Albtrauf mit der Burgruine Rauber und im Tal Bissingen sehen.
Birgit Geyer, Korbflechterin
Der zweite Tag begann nach einem wunderschönen Sonnenaufgang über dem Albtrauf mit dem Abstieg von der Burg Teck. Über den „Sattelbogen“, von dem aus man sowohl ins Lenninger Tal als auch nach Bissingen blicken kann, ging es in Begleitung nach Owen. Dort haben wir die Korbmacherin Birgit Geyer besucht. Sie schneidet die Weiden selber, fertigt daraus Körbe und andere Produkte, die sie auf Märkten und auch an Straßenständen verkauft. Auf ihre Tätigkeit kam sie nicht etwa durch Eltern und Familientradition, sondern durch einen Kurs bei der Volkshochschule. Ihre ersten Kenntnisse hat sie dann durch Vorführungen im Freilichtmuseum Beuren vertieft.
Berghof Rabel
Kaum hatten wir das Anwesen der Korbmacherin verlassen, setzte der von Vielen lange ersehnte Regen ein. Zu denen, die sich darüber besonders gefreut haben dürften, wird die Landwirtschaft gezählt haben. Dazu passte mein nächster Termin, den ich ziemlich durchnässt erreichte: Der Berghof der Familie Rabel, der am Fuße der Bassgeige zwischen Owen und Beuren liegt. Hier haben mich die beiden erwachsenen Kinder empfangen. Man hat sich auf Destillate spezialisiert und bietet gleich 70 Sorten an. Darunter sind auch der Schwäbische Whisky und Gin. Die Brennerei ist durch eine Fensterfront von außen zu sehen. Die hochprozentigen Köstlichkeiten sind im Hofladen zu kaufen, in dem es auch selbst gekochte Marmelade, Säfte und Dosenwurst sowie Käse zu kaufen gibt. Beliefert werden Gaststätten sowie Läden im Großraum Stuttgart. Außerdem werden in einem Offenstall Plätze für Pensionspferde angeboten.
Im strömenden Regen ging es vorbei am Freilichtmuseum Beuren und durch Beuren hindurch nach Neuffen, wo ich die zweite Nacht verbrachte.
Der dritte Tag war bewölkt und etwas abgekühlt. Wobei es die erste Station war, die für eine noch bessere Abkühlung sorgte. Ich durchschritt nämlich die Kneipp-Anlage oberhalb von Neuffen. Gespeist wird diese aus einer Quelle, die etwas weiter oberhalb entspringt, erklärte mir ein Mitarbeiter des Bauhofes, den ich angesprochen hatte. Weiter ging es, wieder in Begleitung, entlang des Berghanges Richtung Jusi und hinab nach Kohlberg. Zum Wandern dazu gehört es, dass man sich ab und zu mal verläuft. So war es auch diesmal, als wir statt des geplanten einen plötzlich endenden Weg eingeschlagen hatten und ein Stück Straße laufen mussten. Wir kamen aber letztlich doch wie vorgesehen im Nürtinger Roßdorf heraus, von wo aus die letzte Station schnell erreicht war:
Speiseeismanufaktur „Martosca“ in Nürtingen
Die Speiseeismanufaktur „Martosca“. Dort wurden wir von Geschäftsführer Oscar Slis empfangen. Das Unternehmen produziert mit seinen neun Beschäftigten täglich 4.000 Liter Eis in 35 Sorten. 11 davon sind konventionell, acht werden unter Demeter-Standard vertrieben. Hinzu kommen laktosefreie Sorten, Kindereis und vegane Sorten. Die Milch stammt aus Schrozberg. Trotz coronabedingt geschlossener Gastronomiebetriebe konnte im ersten Halbjahr ein deutliches Umsatzplus erzielt werden.
Eis schlotzend endete diese Tour. Das Erkunden des Wahlkreises zu Fuß bot wieder viele Gelegenheiten für gute Gespräche während des Laufens und an den Stationen. So bekam ich noch bessere Kenntnisse über meinen Wahlkreis und seine Menschen.