Windkraft im Wald vs. Naturschutz

Als Teil­neh­mer auch der dies­jäh­ri­gen Natur­schutz­ta­ge am Boden­see nahm ich wie­der an einer span­nen­den Exkur­si­on teil. Es ging dies­mal um den Aus­bau der Wind­ener­gie, spe­zi­ell in Wäl­dern.

Die Natur­schutz­ta­ge wer­den bereits seit vie­len Jah­ren von den bei­den Natur­schutz­ver­bän­den BUND und NABU gemein­sam orga­ni­siert. Wäh­rend der vier Tage nahm ich an der Eröff­nung mit eini­gen Begrü­ßungs­re­den, einer Preis­ver­lei­hung, einem Vor­trag mit anschlie­ßen­der Dis­kus­si­on über die baden-würt­tem­ber­gi­sche Natur­schutz­stra­te­gie sowie an einem Vor­trag über die Bedeu­tung der Ver­kehrs­po­li­tik für den Kli­ma­schutz teil. Der für mich wohl span­nends­te Teil war die Exkur­si­on zum ers­ten Wind­park im Land­kreis Kon­stanz. Die­ser befin­det sich auf der Gemar­kung des Ten­ge­ner Orts­tei­les Wiechs. Die Pro­jekt­idee stamm­te, so ver­rät es deren Home­page, von der Inter­es­sens­ge­mein­schaft (IG) Hegau­wind, in der sich Bürger/innen, Stadt- und Gemein­de­wer­ke der Regi­on gemein­sam enga­gie­ren und nach vier­jäh­ri­ger Pla­nungs­zeit den Stand­ort „Verena­foh­ren” ent­wi­ckelt haben.

Im Vor­feld hat­te ich mich schon im Netz über den Wind­park und die natur­schutz­mä­ßi­gen Aus­wir­kun­gen infor­miert. Der BUND West­li­cher Hegau hat das Wind­pro­jekt Verena­foh­ren bei Ten­gen-Wiechs von Beginn an beglei­tet. Dabei ging es vor allem dar­um, zu unter­su­chen, wie sich die Arten­viel­falt im Bereich der Rodungs­flä­chen durch den Ein­griff in den Wald ver­än­dert. Ein ers­ter Bericht auf Grund­la­ge von drei Orts­be­ge­hun­gen gewährt ers­te Ein­schät­zun­gen. Der Vor­sit­zen­de des BUND im Land­kreis Kon­stanz fasst zusam­men: „Die Wald­ro­dun­gen haben kei­nes­wegs einen Ver­lust der Bio­di­ver­si­tät mit sich gebracht. Eher ist das Gegen­teil der Fall“. Auf dem stei­ni­gen Kalk­bo­den im Wind­park­ge­biet habe sich eine arten­rei­che Wald­saum­ge­sell­schaft ent­wi­ckelt, die auch für Insek­ten und ande­re Tie­re attrak­ti­ven Lebens­raum schafft. Es wird auf eine lan­ge Lis­te teils sel­te­ner Arten ver­wie­sen, die den jetzt lich­te­ren Wald­rand an den Stand­or­ten der Wind­kraft­an­la­gen sowie an der Zuwe­gung besie­deln. Auch die streng geschütz­te Frau­en­schuh-Orchi­dee ent­wick­le sich posi­tiv. Der BUND weist dar­auf hin, dass unse­re Wäl­der zu frü­he­ren Zei­ten ins­ge­samt hel­ler waren als heu­te. Das hat zur Ver­drän­gung von Arten geführt, die jetzt in einem teil­wei­se lich­te­ren Wald eine neue Chan­ce haben.

Mit drei Schwach­wind­an­la­gen pro­du­ziert der Wind­park seit Juni 2017 gut 20 Mil­lio­nen Kilo­watt­stun­den (kWh) pro Jahr. Dies deckt bilan­zi­ell den pri­va­ten Strom­be­darf von etwa 20.000 Men­schen (ent­spricht der Bevöl­ke­rung von Ten­gen, Engen und Hil­z­in­gen). Die Anla­gen sind rund 200 Meter hoch, die Rotor­blät­ter sind 70 Meter lang.

Mit einem vol­len Bus inter­es­sier­ter Leu­te aus dem Natur­schutz ging es los. Wäh­rend der Fahrt gab es von einer Per­son, die sich natur­schutz­fach­lich schon sehr früh­zei­tig mit dem Pro­jekt befasst hat­te, grund­sätz­li­che wie auch spe­zi­fi­sche Infor­ma­tio­nen: Aus Natur­schutz­sicht kann – oder muss – man sich für erneu­er­ba­re Ener­gien ein­set­zen, da die Kli­ma­kri­se die Bio­di­ver­si­täts­kri­se anheizt. Immer mehr hei­mi­sche Tier- und Pflan­zen­ar­ten kom­men mit stei­gen­den Tem­pe­ra­tu­ren nicht zurecht, wäh­rend gleich­zei­tig frem­de Arten ein­wan­dern und die hei­mi­schen ver­drän­gen. Doch, auch das war zu hören, kann die Ener­gie­wen­de nicht auf Bie­gen und Bre­chen unter­stützt wer­den. Es geht also um das Wo und das Wie. An mög­li­chen Kon­flik­ten wur­den die bean­spruch­ten Flä­chen und der Natur- und Arten­schutz ange­spro­chen. Kon­kre­tes Bei­spiel: Der Wes­pen­bus­sard und Popu­la­tio­nen an Fle­der­mäu­sen dür­fen nicht gefähr­det wer­den. Die­se kön­nen in sich dre­hen­de Roto­ren flie­gen, aber auch durch Unter­druck geschä­digt wer­den. Die Wald­ro­dung beim Bau in Wäl­dern kann ein wei­te­res Pro­blem sein, das aber dif­fe­ren­ziert betrach­tet wer­den muss. Wald war schon immer beson­ders strit­tig und wird in Deutsch­land emo­tio­nal besetzt. Aber gera­de in Baden-Würt­tem­berg, wo 40 Pro­zent der Lan­des­flä­che mit Wald belegt ist und die­ser sich häu­fig auf windhöf­fi­gen Hügeln und Ber­gen befin­det, kann Wald nicht gene­rell von der Wind­kraft­nut­zung aus­ge­schlos­sen wer­den – zumal die Wäl­der von der Kli­ma­kri­se beson­ders betrof­fen sind. Tabu sein müss­ten natur­na­he Wäl­der, Bann- und Schon­wäl­der. Zu hören war, die Nut­zung von Wald­flä­chen sei „ein Draht­seil­akt für den Natur­schutz“. Ein wei­te­rer Kon­flikt kann der Lärm beim Bau und die Geräusch­ku­lis­se im Betrieb dar­stel­len. Das Auer­huhn bei­spiels­wei­se wird dadurch ver­grämt. Um Kon­flik­te zu ver­mei­den oder zumin­dest zu ver­rin­gern „ist ein gro­ßer Korb von Maß­nah­men not­wen­dig“. Dazu gehört, dass Haupt­flug­kor­ri­do­re von Vögeln von Wind­kraft­an­la­gen frei­ge­hal­ten wer­den. Für man­che Tier- und Pflan­zen­ar­ten müs­sen Ersatz­ha­bi­ta­te geschaf­fen wer­den. Bei Fle­der­mäu­sen kann eine stand­ort­spe­zi­fisch kon­zi­pier­te Abschalt­ein­rich­tung hel­fen, wie es sie bei den Anla­gen, die wir besu­chen wol­len, vor­han­den sind. Erken­nen instal­lier­te Sen­so­ren gefähr­de­te Arten in der Höhe der Roto­ren, so wer­den die­se ver­lang­samt oder gestoppt. Die Strom­pro­duk­ti­on wird dadurch ledig­lich im nied­ri­gen ein­stel­li­gen Pro­zent­be­reich redu­ziert.

Unweit des Stand­or­tes aus dem Bus aus­ge­stie­gen, muss­ten wir lei­der fest­stel­len, dass uns der Nebel kei­ne gute Sicht gewäh­ren wird. Wäh­rend des Fuß­mar­sches hin­auf auf den Berg gab es noch eini­ge wei­te­re inter­es­san­te Infor­ma­tio­nen, doch dies­mal von der Fir­ma, die den Wind­park geplant hat­te. 220 Grund­stü­cke muss­ten von 80 Eigentümer(gemeinschaften) gepach­tet wer­den. Die­se hohe Anzahl ist der in Baden-Würt­tem­berg übli­chen Real­tei­lung geschul­det, die zu vie­len klei­nen Grund­stü­cken führt. Dies macht die Rea­li­sie­rung auf­wän­dig und kann neben Zeit­ver­zö­ge­run­gen zu wei­te­ren uner­wünsch­ten Effek­ten füh­ren. Einer davon: Weil ein Eigen­tü­mer nicht ver­hand­lungs­be­reit war, konn­te ein bestehen­der Weg nicht für die Trans­port- und Bau­fahrt­zeu­ge ver­brei­tert wer­den. Statt­des­sen muss­te auf einem Abschnitt ein neu­er Weg gebaut wer­den, was den Flä­chen­ver­brauch um 0,3 auf in der Sum­me 2,8 Hekt­ar Wald­flä­che erhöh­te. Auch der Abtrans­port des erzeug­ten Stroms stell­te eine Her­aus­for­de­rung dar. Der sehr abge­le­ge­ne Stand­ort der Wind­kraft­an­la­gen befin­det sich weit weg von einer leis­tungs­star­ken Strom­lei­tung. Weil aber die Gren­ze zur Schweiz nur weni­ge hun­dert Meter ent­fernt liegt, konn­te man einen Teil des Stroms einer Lei­tung in der Schweiz und einen ande­ren Teil einer Lei­tung in Deutsch­land zufüh­ren. Dadurch muss­te weni­ger gegra­ben und weni­ger inves­tiert wer­den.

An einem der drei Wind­rä­der ange­kom­men, sahen wir schließ­lich den tat­säch­li­chen Flä­chen­ver­brauch, aber auch zweit­wei­se bean­spruch­te und wie­der auf­ge­fors­te­te Wald­flä­chen. Der Nebel gab nur zweit­wei­se den Blick auf die Roto­ren frei. Da Wind­stil­le herrsch­te, dreh­te sich nichts und wir beka­men kei­ne Geräusch­ku­lis­se gebo­ten. Wir spra­chen über die Aus­ma­ße der Beton­fun­da­men­te, die Umsied­lung von Wald­amei­sen und vie­les mehr. Fotos boten Ein­bli­cke in die Bau­pha­se. Auf dem Rück­weg kamen wir noch an einer der Aus­gleichs­flä­chen vor­bei. Die gero­de­te Wald­flä­che muss­te 1:1 an ande­rer Stel­le aus­ge­gli­chen (neu ange­legt) wer­den.

Auf der Rück­fahrt wur­de im Bus noch die ein oder ande­re Dis­kus­si­on um die Bedin­gun­gen geführt, die man an Wind­kraft­an­la­gen – ins­be­son­de­re in Wäl­dern – aus natur­schutz­fach­li­cher Sicht stel­len muss. Dabei war auch zu hören, dass Wind­kraft im Wald eher zu akzep­tie­ren sei als Pho­to­vol­ta­ik auf (land­wirt­schaft­li­chen) Frei­flä­chen.

Im Rah­men der Natur­schutz­ta­ge wur­den schon in der Ver­gan­gen­heit immer wie­der ähn­lich span­nen­de Exkur­sio­nen ange­bo­ten, die sich im Span­nungs­feld zwi­schen Ener­gie, Land­wirt­schaft, Wirt­schaft und Natur­schutz beweg­ten. So ging es um Frei­flä­chen-Pho­to­vol­ta­ik oder den Kies­ab­bau. Bei allen die­sen Exkur­sio­nen fiel auf, dass die­se stets gut besucht waren, aber nie jemand mit gene­rel­ler Ableh­nung des jewei­li­gen The­mas dabei war. Die­se Leu­te las­sen sich ganz offen­bar auf kein For­mat ein, bei dem die ver­schie­de­nen Argu­men­te offen ange­spro­chen wer­den und eine fak­ten­ba­sier­te Mei­nungs­bil­dung erfol­gen kann.

Am Tag nach der Exkur­si­on lud ich jun­ge Men­schen zu einem Natur­schutz-Dia­log mit dem Lan­des­vor­sit­zen­den des NABU Baden-Würt­tem­berg ein. Die­ser ist stu­dier­ter Förs­ter und unter­stützt die Ener­gie­wen­de inklu­si­ve Wind­rä­der in Wäl­dern im Grund­satz, wenn die­se nicht eine beson­de­re Wer­tig­keit auf­wei­sen. Unse­re Wäl­der sind ganz beson­ders von den schnel­len Kli­ma­ver­än­de­run­gen betrof­fen, was die Wich­tig­keit des Kli­ma­schut­zes unter­streicht. Die­ses Gespräch bot mir die Gele­gen­heit, das The­ma wei­ter zu ver­tie­fen und zu kon­kre­ti­sie­ren.

Links zu ent­spre­chen­den Bei­trä­gen:

Agri-Pho­to­vol­ta­ik: https://www.matthias-gastel.de/naturschutztage-am-bodensee-exkursion/

Strom von der Obst­plan­ta­ge (ohne Bezug zu den Natur­schutz­ta­gen): https://www.matthias-gastel.de/solarstrom-von-obstplantage/

Exkur­si­on in die Kies­gru­be: https://www.matthias-gastel.de/exkursion-der-naturschutztage-kiesabbau-und-baustoffrecycling/