26.12.1970 (Interview im Teck-Bote, hier ungekürzte Wiedergabe)
Interview über Mobilität der Zukunft
Herr Gastel, Sie wollen Inlandsflüge verbieten.
Matthias Gastel: Wir wollen nichts verbieten, sondern die Flüge überflüssig machen. Dazu sind der Ausbau der Bahnangebote und billigere Bahntickets erforderlich.
Warum ist Bahnfahren in Deutschland teurer als fliegen?
Gastel: Das kann man pauschal gar nicht sagen. Sowohl bei Flügen als auch bei der Bahn gibt es Riesenspannen, das kann manchmal daran hängen, ob sie zwei Stunden früher oder später buchen. Man kann vielleicht sagen: Bahnfahren ist manchmal zu teuer, Fliegen ist meistens zu billig. Die Bedeutung von Flugzeug und Bahn können Sie nicht gleichsetzen. Die Bahn ist ein Verkehrsmittel der Alltagsmobilität und zentral für viele Pendler, das Flugzeug eher nicht.
Grünen-Politikern wird oft vorgeworfen, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Wie sieht es denn mit Ihrem Mobilitätsverhalten aus?
Gastel: Wenn ich nicht im Bundestag sitzen würde, wäre ich nie geflogen. So waren es insgesamt viermal, zweimal davon von Stuttgart nach Berlin, so weil die Bahn gestreikt hat. Einmal war ich in England, bin mit der Bahn hingefahren und musste aus Zeitgründen mit dem Flieger zurück. Einmal war ich in Kopenhagen mit dem Flieger und fuhr mit der Bahn zurück. Das war es. Aber es ist richtig, dass nicht alle Parteifreunde so konsequent sind oder so konsequent sein können.
Können Sie denn nachvollziehen, dass Leute ein Billigticket für einen Wochenendtrip nach Venedig kaufen?
Gastel: Ich finde, dass man mit billigen Flugpreisen Fehlanreize setzt. Kurztrips, egal wohin, machen in meinen Augen häufig keinen Sinn. Der ökologische Schaden steht dann in keinem Verhältnis zum Nutzen. Und warum muss Urlaub bei einigen automatisch eine Flugreise bedeuten? Ich verstehe nicht, dass man sich im Sommer in Mexiko an den Strand legt, wenn man das auch an der Ostsee kann. Ich bin oft überrascht, wie viele Leute die ganze Welt bereisen, aber ihre Heimat nicht kennen.
Nun wird es Leute geben, die sich durch Ihre Haltung bevormundet fühlen…
Gastel: Entweder ist man nicht glaubwürdig, oder es heißt, man erwarte von anderen Leuten, dass sie sich genauso verhalten müssten wie man selber. Wir stehen aber alle in der Verantwortung – und entscheiden selber was wir tun.
Zurück zur Bahn. Wie wollen Sie die Zugtickets billiger bekommen?
Gastel: Aktuell ist es so, dass für Bahnfahrkarten im Nahverkehr 7 Prozent Mehrwertsteuer gezahlt wird und im Fernverkehr 19 Prozent. Beim grenzüberschreitenden Fliegen liegt die Mehrwertsteuer bei null Prozent. Da herrscht eine Ungleichheit. Generell sollten Bahntickets durchgehend mit 7 Prozent besteuert werden und für Flüge der volle Mehrwertsteuersatz gelten. Dann werden noch für jeden gefahrenen Zugkilometer Trassenpreise gezahlt, eine Art „Schienen-Maut“. Die wollen wir auch senken, um Spielräume für weitere Tarifsenkungen zu schaffen. In Summe könnten die Bahntickets um deutlich mehr als zehn Prozent billiger werden.
Und gleichzeitig sollen Flüge teurer werden?
Gastel: Kerosin sollte wie Kraftstoff fürs Auto besteuert werden, dann werden Flüge automatisch teurer.
Und wenn die Flugzeuge dann einfach im Ausland tanken?
Gastel: Es gibt Möglichkeiten, auch mitgeführtes Kerosin zu besteuern. Wir wollen aber ohnehin, dass Kerosin europaweit besteuert wird. Frankreich, Belgien, die Niederlande, Schweden und Bulgarien haben sich bereits offen für eine EU-weite Lösung des Luftverkehrs gezeigt.
Nun ist der Flugverkehr nur für 0,3 Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Bestraft man da nicht die Falschen?
Gastel: Sie müssen bedenken, dass die Klimaeffekte in der Atmosphäre um den Faktor zwei bis fünf stärker sind. weil die Klimawirksamkeit von Flugreisen nicht nur auf den CO2-Ausstoß beruht, sondern bei der Verbrennung von Kerosin Stickoxide, Aerosole und Wasserdampf entstehen, die zur Erwärmung der Erdatmosphäre beitragen. Diese Stoffe wirken sich in luftiger Höhe durch den langsamen Abbau stärker aus als am Boden und vergrößern den Treibhauseffekt entsprechend. Wenn Sie ein schwach besetztes Auto mit einem vollbesetzten Flieger vergleichen ist der Verbrauch pro Person beim Flieger geringer, aber die klimaschädigende Wirkung ist größer.
Welche Flugstecken wollen Sie in Deutschland überflüssig machen?
Gastel: Wir wollen Kurzstreckenflüge überflüssig machen. In der Definition sind das meist Strecken, auf denen man mit der Bahn drei oder maximal vier Stunden unterwegs ist. In diesem Bereich ist die Bereitschaft groß, bei einem vergleichbaren Preis auf die Bahn umzusteigen. Demnach ist Stuttgart – Berlin keine Kurzstrecke, denn dort sind sie derzeit noch deutlich länger mit der Bahn unterwegs. Um mehr Flüge überflüssig zu machen, denken wir an den Ausbau der Sprinter-Verbindungen zwischen Metropolen, auf denen die Bahn dann mit attraktiven Fahrzeiten aufwarten kann.
Neben den Vielfliegern stehen neuerdings auch Fahrer so genannter SUVs am Pranger. Was halten Sie von Fahrverboten für diese Fahrzeuge in Städten?
Gastel: Der Trend zu diesen Fahrzeugen ist bedenklich. Sie haben einen hohen Verbrauch, belasten das Klima besonders und benötigen in der Herstellung mehr Ressourcen. Es ist nicht verantwortlich wie wir mit unseren Rohstoffen umgehen. Der Kauf verbrauchsintensiver Fahrzeuge muss, durch einen Aufschlag teurer werden. Daraus kann es dann Kaufhilfen für E‑Autos geben. Aber eben nicht aus dem Steuer-Etat. Warum soll jemand, der kein Auto hat, anderen den Kauf eines solchen mitfinanzieren, wie das heute der Fall ist?
Setzt denn die deutsche Autoindustrie die richtigen Anreize?
Gastel: Ich war ja auf der IAA und hab mir das Trauerspiel angeschaut…
Warum Trauerspiel?
Gastel: Es gibt zurzeit zwölf Länder, die ab 2030 oder spätestens ab 2040 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr neu zulassen wollen. Wir leben vom Export unserer Autos auch dorthin und müssen uns auf sich verändernde Märkte einstellen. Aber unsere Automobilwirtschaft tut häufig so, als gäbe es noch eine große Zukunft für Verbrenner. Auf der IAA gab es jenseits der Autos aus der alten Welt überwiegend Hybride. Mit reinen Stromern, zumal mit solchen, die es bereits zu kaufen gibt, geizen die Hersteller nach wie vor. Besonders wenig gibt es davon bei Daimler. Da mache ich mir wirklich Sorgen. Von den deutschen Herstellern betreibt VW das Thema am konsequentesten, hat in Ostdeutschland 8000 Arbeitsplätze im E‑Auto-Werk gesichert, Bei Porsche wurden 1.500 Stellen für E‑Mobilität in unserer Region geschaffen. Zunächst einmal schaffen neue Antriebe und andere Trends mehr Arbeit.
Kann denn die Batterie überhaupt die Lösung für die Zukunft sein?
Gastel: Ja, zumindest Teil einer Lösung. Der andere Teil der Lösung sind Bus, Bahn und Fahrrad. Ich ärgere mich immer, wenn die Kritiker die Begrifflichkeiten falsch benutzten. Die Brennstoffzelle ist auch ein Elektroantrieb, nur dass sie Strom mithilfe von Wasserstoff während der Fahrt erzeugt. Wasserstoff wird derzeit aber leider meist noch mit Erdgas hergestellt, weshalb die Umweltbilanz negativ ist. Wasserstoff aus Strom herzustellen ist noch sehr ineffizient und damit nicht wirtschaftlich. Da ist das batterieelektrische Auto im Vorteil, zumal es sehr energieeffizient ist.
Könnte der gesamte Verkehr schon jetzt auf Elektro umgestellt werden?
Gastel: Am einfachsten ist das bei der Bahn. Wir müssen dafür mehr Strecken mit Oberleitung versehen und mehr Güter auf die Bahn bringen. Bei Lkw haben Sie ein Problem: Die Energiekapazität der Batterie reicht für die meisten Transportwege nicht. Hier werden die Brennstoffzelle und E‑Fuels interessant. Wichtig ist, die Forschung dafür voranzutreiben.
Aber heißt es nicht, dass in der Gesamtbilanz die Elektroautos ohnehin noch schlechter dastehen als konventionelle Verbrenner?
Gastel: Studien zeigen, dass batterieelektrische Autos eine bessere Umweltbilanz als Verbrenner haben. Diese wird mit mehr Ökostrom besser. Eines Tages werden wir 100 Prozent Ökostrom haben. Entscheidend ist, dass wir unsere Mobilität mit weniger, dann aber mehr gemeinschaftlich und intensiver genutzten Autos organisieren.
Wird dann klimatechnisch mit dem Elektroauto alles gut?
Gastel: Nein, wir müssen die Rohstofffrage stellen und die betrifft das Auto als Ganzes, egal mit welchem Antrieb. Für Stahl und Aluminium muss Erz bzw. Bauxit gefördert werden, was häufig unter schlimmsten Arbeitsbedingungen geschieht. Die Verarbeitung erfordert einen hohen Energieaufwand und einen hohen Wasserverbrauch. Das Auto hat per se ein Rohstoffproblem. Dabei steht es im Durchschnitt 23 Stunden am Tag und nimmt Platz weg. Im Schnitt sitzen 1,4 Personen im Auto, in der Hauptverkehrszeit sind sie noch schlechter ausgelastet und verstopfen gerade dann die Straßen. Wir brauchen nicht mehr Straßen, sondern einen intelligenteren Einsatz emissionsfreier Autos und Verlagerungen auf alternative Verkehrsmittel.
Damit wären wir wieder bei der Bahn…
Gastel: Ja. Seit 1992 wurde das Straßennetz um 40 Prozent vergrößert, das Schienennetz wurde um 20 Prozent geschrumpft. Jetzt muss endlich mal die Schiene ausgebaut werden. Aber wir werden auch in Zukunft Autos brauchen, insbesondere im ländlichen Raum. Auch dort werden sie emissionsfrei sein.