Blick in den Koalitionsvertrag Baden-Württemberg
Im Verkehrsbereich setzt der neue Koalitionsvertrag aus mindestens zwei Motiven viele wegweisende Punkte: Der Verkehrssektor soll seinen Beitrag zur Erreichung des 1,5‑Grad-Ziels leisten und Mobilität wird als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe gesehen. Einiges davon ist auch interessant im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl. Hier stelle ich Auszüge aus den Koalitionsvorhaben dar und bewerte diese.
Mobilitätsgarantie
Sie ist vielleicht das Herzstück des Verkehrskapitels. In einem ersten Schritt soll bis zum Ende der neuen Legislaturperiode ein Stundetakt im ländlichen Raum (geschlossene Ortschaften) und ein Halbstundentakt in den Städten als Mindestangebot des öffentlichen Nahverkehrs umgesetzt werden. Dies soll von fünf Uhr bis Mitternacht gelten. Es sollen „flexible und nachfragegesteuerte On-Demand-Angebote“ zum Einsatz kommen.
Die Mobilitätsgarantie und die Kommunen
Kommunale Spitzenverbände begrüßen die Garantie, beklagen aber, dass sie diese (mit)finanzieren müssten. Dies ist zwar richtig. Richtig ist aber auch, dass das Land vielfach kommunale Aufgaben übernimmt und an anderen Stellen für Entlastung sorgen möchte. So sind die Landkreise für den Busverkehr zuständig. Das Land hat aber Regiobusse eingeführt, um größere Orte ohne Bahnanschluss besser zu verbinden. Das Land unterstützt die Kommunen auch beim Bau von Radwegen – formal meist eine kommunale Aufgabe. Im Koalitionsvertrag wurde angekündigt, die Förderkonditionen bei der Kofinanzierung von Bundes-GVFG-Projekten weiter zu verbessern. Damit sinken kommunale Finanzierungsanteile beispielsweise beim Ausbau von S- und Stadtbahnen. Auch die angestrebte Ausweitung der Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen verbessert die Finanzsituation nicht nur des Landes.
Mobilitätspass/Nahverkehrsabgabe
Mit diesem Steuerungs- und Finanzierungsinstrument sollen Kommunen den Ausbau der Angebote des öffentlichen Nahverkehrs und günstige Tarife finanzieren können. Eine Variante ist, dass auf das Halten von Autos eine Abgabe erhoben wird, mit der dann in gleicher Höhe ein persönliches ÖPNV-Guthaben verbunden wird, das für Zeitkarten des öffentlichen Nahverkehrs eingelöst werden kann. Bereits der frühere Verkehrsminister Thomas Schäuble und OB Manfred Rommel (beide CDU) hatten entsprechende Pläne.
Schiene
Auch „abseits der Magistralen“ möchte das Land den „kapazitäts- und qualitätsorientierten Ausbau sowie die Elektrifizierung“ und auch Streckenreaktivierungen vorantreiben. Besonders wichtig ist mir die Ergänzungsstation am Hauptbahnhof Stuttgart. Sie soll drei Zuläufe erhalten (über die Panoramabahn, aus dem Norden und aus Bad Cannstatt kommend). Wie bisher geplant, droht der Tiefbahnhof zum Nadelöhr des Fern- und Regionalverkehrs zu werden, der spätestens nach dem Jahr 2030 Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten einschränken würde. Die Ergänzungsstation käme der Region Stuttgart, aber auch großen Teilen des Landes zugute. Das Land will den Regionalverkehr weiter ausbauen. Der Kostendeckel für Stuttgart 21 gilt weiter (bezogen auf den Umfang des Projektes, wie er im Finanzierungsvertrag definiert wurde).
Radverkehr
Bis 2030 sollen mindestens 20 Radschnellwege gebaut werden. Fahrradstellplätze und ‑parkhäuser an Bahnhöfen sollen weiter gefördert werden, aber auch Sammelgaragen in Wohngebieten. Die Erstellung von Geh- und Radschulwegplänen soll zur Pflicht gemacht werden.
Straßenbau
Weiterhin soll die Sanierung Vorrang vor dem Aus- und Neubau haben. Zukünftige Landesstraßen-Projekte sollen einem Klimacheck unterzogen werden. Die Umsetzung der Bedarfsplanprojekte des Bundes („Bundesverkehrswegeplan“) sollen nach einem eigenen Bewertungssystem, in dem der Klimaschutz gestärkt werden soll, priorisiert werden. Das erinnert stark an eine Aussage im Entwurf fürs Bundestagswahl-Programm. Dort heißt es, mit der Konsequenz daraus: „Die anstehende Überprüfung des aktuellen Bundesverkehrswegeplans werden wir nutzen, um nicht planfestgestellte Straßenneubauprojekte, insbesondere Autobahnabschnitte, noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und mit einem Klima- und Umweltcheck neu zu bewerten. Die Investitionen werden wir umschichten zugunsten der Sanierung maroder Infrastruktur und des Ausbaus der Schienen- und Radwegeinfrastruktur.“
Weitere Vereinbarungen in Stichworten
- 365 Euro-Ticket für Schüler*innen und Studierende mit landesweiter Fahrberechtigung
- Mehr Sicherheitspersonal in Zügen
- Fortsetzung Strategiedialog Automobilwirtschaft
- Ausbau Park & Ride
- Kostendeckendes Parken auf Landesliegenschaften
- Ausbau von Photovoltaik an Verkehrswegen
- Projektförderung für E‑Fuels im Flugverkehr
- Keine wiederkehrende Finanzhilfen für Regionalflughäfen
Kritische Anmerkungen
Natürlich gefällt mir nicht alles, was im Verkehrskapitel des Koalitionsvertrages steht. So ist beispielsweise von einem „klimafreundlichen Autoverkehr“ die Rede. Einen solchen kann es aber nicht geben. Auch den Begriff der „Technologieoffenheit“ in Bezug auf zukünftige Antriebe bei Autos finde ich zumindest verwirrend. Wir sind ja eben nicht offen für alles. So wollen wir dort, wo der Einsatz von Wasserstoff Sinn macht, ausschließlich „grünen“ Wasserstoff und keineswegs solchen, der auf Basis von Erdgas, Kohle- oder Atomstrom hergestellt wird. Wasserstoff und E‑Fuels müssen aus erneuerbar erzeugtem Strom hergestellt werden und werden noch sehr lange nur in kleinen Mengen und zu hohen Preisen verfügbar sein. Das schränkt die Offenheit für die Anwendung ein. Im Koalitionsvertrag werden diese vor allem für den Luft‑, Schiffs- und Schwerlastverkehr gesehen. Das ist richtig. Dann bleibt aber von den begrenzten Mengen über lange Zeiträume nichts mehr für Pkw übrig. Ebenfalls irritierend finde ich die Aussage, man wolle „die Straßenbauverwaltung stärken“. Wozu, wenn man doch die Hürden für Straßenbauprojekte höher setzen möchte? Der „Gäubahntunnel“ an den Flughafen halte ich für mindestens fragwürdig. Allerdings hat darüber der Bund zu befinden.